Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
Vom Netzwerk:
Papier zu lesen. Amerikas Brotmehl Nr. 1 . Ich stand lange Zeit im Wind, las immer wieder diese Worte. Vielleicht ist er da drin, dachte ich. Vielleicht ist Leonard darin verpackt, damit er nicht verschüttet wird. Ich machte die Tüte auf und holte eine Handvoll heraus. Was ich in der Hand hielt, war weißes Mehl.
    Das Summen wurde lauter. Hoch über mir riss ein Propellerflugzeug den Morgenhimmel auf. Ich trat an den Rand der Stufe, streckte die Hand über dem Wasser aus und ließ das Mehl durch meine Finger rieseln. Der Wind trieb es rasch zu einer Wolke zusammen. Ich leerte die ganze Tüte aus und sah zu, wie sich das Mehl weiter und weiter ausbreitete, bis es dann, als es das Wasser erreichte, nicht mehr Substanz besaß als der flaumige Samen des Löwenzahns.

    Am nächsten Abend rief ich dich an. »Hallo«, sagte ich. »Hier spricht Frankie.«
    »Hallo, Frankie. Mann, du klingst ja so förmlich.«
    »Ich habe das Buch von Hunter Thompson gelesen«, teilte ich dir mit. »Hell’s Angels.«

    »Wirklich? Warte mal einen Moment.« Ich stellte mir vor, wie deine Hand die Sprechmuschel zuhielt, die Stimmen dämpfte, die ich hörte, das Gelächter. »Da bin ich wieder.«
    »Okay.«
    »Hat es dir gefallen?«, fragtest du.
    »Ja. Es ist nur so, dass Leonard gar nicht darin vorkommt.«
    »Im obersten Regal.«
    Ich blinzelte. »Im obersten Regal? Was meinst du damit?«
    »Das war nicht an dich gerichtet.«
    »Ich habe das Buch gelesen, weil du gesagt hast, dass Leonard darin vorkommt.«
    »Er kommt darin vor.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich habe das ganze Buch gelesen. Er kommt nicht darin vor.«
    »Er hat ja auch nicht seinen richtigen Namen benutzt, als er in der Gang war. Glaubst du vielleicht, dass ihn alle Leonard nannten? Er hatte irgendeinen Decknamen.«
    »Ach. Ist dir übrigens aufgefallen, dass er sich nicht mehr in deinem Wohnzimmer befindet?«
    »Was?« Ich stellte mir vor, wie du zum Verstärker blickst, zum ersten Mal bemerkst, dass die falsche Urne fehlt. »Wo ist sie? Bist du hier reingekommen?«
    »Ja.«
    »Du bist in mein Apartment eingebrochen?« Du lachtest. »Meine Güte, Frankie, das ist ja fast ein bisschen unheimlich.«
    »Ich habe Leonard gestohlen. Weißt du, warum? Ich habe Leonard gestohlen und ihn in die Catskills gebracht.«
    Einen Moment lang war es still in der Leitung. Im Hintergrund hörte ich, wie jemand einen Nagel in die Wand hämmerte. Dann sagtest du: »Frankie …«

    »Ich habe ihn an den Neversink gebracht und habe seine liebste Melville-Passage gelesen und habe die Urne aufgemacht.«
    »Das darf doch nicht wahr sein.«
    »Warum hast du mir das angetan?«, fragte ich.
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein, dass du mir die Schuld gibst. Du kommst hier rein und raubst mein Apartment aus, und dann gibst du mir die Schuld? Ich vertraue dir meinen Schlüssel an, und du raubst mich aus, und jetzt, jetzt bin ich schuld?«
    »Ich will ja nur wissen …«
    »Okay, willst du es genau wissen? Mein Vater lebt in Pasadena. Ich habe ihn seit neun Jahren nicht gesehen. Jetzt weißt du es. Zufrieden? Sonst noch was? Willst du seinen Namen wissen?«
    »Er lebt in Pasadena?«
    »In Pasadena. Er ist Steueranwalt. Alles klar? Zufrieden jetzt?«
    »Leonard existiert gar nicht?«, fragte ich.
    »Frankie existiert gar nicht«, antwortetest du und legtest den Hörer auf.

    Jedes Mal wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich die Stadt, in der du lebst, und ich frage mich, wo du bist und was du gerade tust, verborgen hinter all den hohen Gebäuden. Nichts so Banales wie Wäsche waschen oder Lebensmittel einkaufen - nein, für dich gelten die Gesetze der hässlichen Realität nicht, du bringst tote Väter zur Welt.
    Irgendwo in der Stadt existiert Leonard, spukt im Kopf eines anderen abservierten Verehrers herum. Ich trauere
nicht um einen Mann, den es nie gegeben hat, so viel steht fest, aber ich hoffe trotzdem, Leonard eines Tages zu begegnen, vielleicht beim Würfeln im Hinterzimmer einer mit Sägemehl ausgestreuten Bar, das wenig kunstvolle Tattoo einer Meerjungfrau auf dem Unterarm, ein zerfleddertes Exemplar des Moby Dick in der Tasche seiner Lederjacke. Ich werde ihm ein Glas Whiskey spendieren und seinen Geschichten lauschen.

MERDE BRINGT GLÜCK
    1 Die Frau auf dem Fensterplatz ist die Erste, die den Gestank bemerkt. Sie beginnt die Stirn zu runzeln, noch bevor sie den Blick von ihrem Taschenbuchroman hebt. Sie bläht die Nasenflügel und blinzelt; dann, als ihr klar wird, dass der Geruch nicht

Weitere Kostenlose Bücher