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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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mit den Kindern in den Park, trainiert den dicken Dackel mit Tennisballwürfen auf der Wiese und schaut gerührt zu, wie Sohn und Tochter der alten Frau auf der Parkbank beim Taubenfüttern helfen. Als sie nach Hause zurückkommen, wäscht Vater gerade mit ausgerolltem Gartenschlauch das Familienauto und verpasst allen eine kalte Dusche. Fröhliches Kreischen erfüllt die Garageneinfahrt. Für das Grillfest am Abend werden dicke Äste auf die Feuerstelle gelegt, Mutter spielt in voller Lautstärke ihre alten Beatlesplatten, die Kinder tanzen, es wird gelacht und gesungen bis nach Mitternacht.
    Ein gelungener Sonntag. Um die fällig gewordenen Bußgelder aufzubringen, müsste die Familie ein halbes Monatseinkommen investieren.
    Was nicht verboten ist, ist erlaubt: Einst war die Freiheit des Einzelnen Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung. Inzwischen passen in einer mittelgroßen Stadt wie Leipzig nicht nur Polizei und Ordnungsamt, sondern auch die Sächsische Sicherheitswacht (ehrenamtliche Bürger in Uniform), die Wachpolizei, dreißig private Sicherheitsdienste sowie der Bundesgrenzschutz auf das Wohlverhalten der Stadtbewohner auf. Wenn einmal keine Uniform zur Stelle ist, vermitteln die Überwachungskameras auf öffentlichen Straßen und Plätzen das beruhigende Gefühl, permanent unter Beobachtung zu stehen. Wen wundert’s, wenn sich auch der Nachbar zum Hilfssheriff zwischen Treppenhaus und Hinterhof berufen fühlt? Sicher: Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze in der Freiheit des Nächsten. Dieses System wird jedoch ad absurdum geführt, wenn sich die Einzelfreiheit durch falsch geparkte Autos und Gartenpartys erdrosselt glaubt.
    Ein paar Jahrzehnte lang lag dieses Land gespalten und eingequetscht zwischen atomar aufrüstenden Supermächten. Paradoxerweise fühlen wir uns seit Ende der Blockkonfrontation nicht weniger bedroht, sondern mehr. Wovon? Von Rinderfürzen und Klimaerwärmung, von Rauchen in öffentlichen Einrichtungen, Fahrrädern auf dem Bürgersteig und weggeworfenen Coladosen. Letztere belegt die Stadt Frankfurt a.-M., unterstützt durch jeden anständigen Bürger, mit Geldstrafen ab 30 Euro. Es scheint, als würde Angst nicht durch tatsächliche Umstände ausgelöst. Sie ist immer schon da und sucht sich ihre Ursachen selbst.
    Raubritternde Angst und Demokratie sind allerdings nur begrenzt kompatibel. Angst verlangt schnelle, harte Maßnahmen; Demokratie hingegen setzt auf Kompromisse und Interessenausgleich. Der Deal des klassischen Gesellschaftsvertrags – Verzicht auf Selbstverteidigung zugunsten eines Sicherheitsanspruchs gegen den Staat – kann nicht als Programm zur (Selbst-)Entmündigung der Bürger funktionieren. Dem panischen Ruf nach Sofortmaßnahmen steht auf staatlicher Seite entweder ein ungesunder exekutiver Machtüberhang oder eine überforderte Legislative gegenüber.
    Spontanverbote in Form von Einzelfallgesetzen sind in demokratischen Systemen qua Staatsform verfassungswidrig. Dies zwingt zur Verallgemeinerung der Ergebnisse hektischer Gesetzgebungsaktionen: Ein einzelner Hund beißt ein einzelnes Kind – wenig später sind bestimmte Hunderassen landesweit verboten. Ein Amokläufer nimmt mehreren Schülern das Leben – kurz darauf stehen noch ein paar Ego-Shooter mehr auf dem Index, und zum Tragen von Schreckschusspistolen braucht man einen Waffenschein.
    Jeder weiß, dass es kein Leben und schon gar kein Zusammenleben frei von Nebenwirkungen gibt. Ein freiheitliches System setzt Freiwilligkeit voraus, ein ungeschriebenes agreement aller mit allen, sich trotz räumlicher und geistiger Enge möglichst wenig auf die Nerven zu gehen. Dafür braucht man normalerweise keine Polizei, sondern Taktgefühl und die Fähigkeit, eigene Grenzen höflich abzustecken und zu verteidigen. Ohne Vertrauen in verantwortungsbewusstes Verhalten und die selbstregulierenden Kräfte einer Gesellschaft können wir den Laden gleich dicht machen.
    Die verbotene Familie ist absurdes Ergebnis eines Zusammenhangs, der sich von der kleinsten gesellschaftlichen Zelle bis in die Weltpolitik quer durch alle sozialen und politischen Ebenen verfolgen lässt. Angst, gefolgt von Repression und neuer Angst, bildet die Haupttriebfeder eines fatalen Teufelskreises. Er lässt sich durchbrechen, indem man die nachtschwarze gegen eine graurosa Brille vertauscht und feststellt: Die Satansbraten unter uns sind trotz allem in der Minderzahl. Man muss nicht einmal den globalen Vergleich bemühen, um

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