Alles auf dem Rasen
Seiten, holen dabei tief Luft und ballen die Hände zu Fäusten.
4. Wenn Sie Ihrem Nebenmann dabei die Brille von der Nase stoßen, sagen Sie: »Verzeihung, ich habe nie verstanden, warum die Idioten ihre Blätter so übertrieben formatieren.« Dabei lachen Sie befreit.
Wiederholen Sie diese Übung mehrmals am Tag. Regelmäßige Anwendung fördert Kommunikationsfreude und Weltbezug. Sie bewahren Ihre innere Stärke sowie die Verbindung mit dem Göttlichen.
§ 2: Erkennungszeichen
Bestimmt kennen Sie das. Schon zu Schulzeiten und erst recht auf der Universität war es von enormer Wichtigkeit, wer welche Zeitung in Klassenzimmer oder Hörsaal aus der Tasche zog. Ein Krawattenträger mit dem Berufsziel BWL-Abschluss-in-sechs-Semestern las die deutsche Ausgabe der Financial Times. Hatte jemand ein Jahr auf Oxford High verbracht, war es The Guardian oder The Observer . Angehende Deutschlehrer, Soziologiestudenten und sonstige Klein-Intellektuelle fühlten sich hinter der Süddeutschen Zeitung am wohlsten, während sich schwarze Rollkragenpullover und eckige Architektenbrillen mit hoher Wahrscheinlichkeit hinter der ZEIT aufspüren ließen. Über der Oberkante des Neuen Deutschlands schauten die grüngefärbten Spitzen einer Irokesen-Frisur hervor, und wer das geräuschvolle Einläuten des postmaterialistischen Zeitalters noch nicht vernommen hatte, blätterte im Werbeblättchen des Media Markts . Zeitungsentfaltung war Selbstentfaltung.
Auch nach der Entzeitung soll niemand darauf verzichten müssen, seine Geisteshaltung unter dem Arm zu tragen. Sie wollen zum blind date und dachten daran, den STERN in die Manteltasche zu stecken? Stapeln Sie stattdessen die gesammelten Werke von John Grisham gut sichtbar in der rechten Armbeuge. Sie legen Wert darauf, im ICE Ihre überlegene Stellung als intelligenter Zugreisender gegenüber dem lärmenden Wochenendticket-Pöbel zu betonen? Sortieren Sie eine vierundzwanzigbändige Ausgabe des Brockhaus ins Gepäcknetz und stehen Sie gelegentlich auf, um sich einen Band herauszugreifen. Sie machen Urlaub auf Mallorca und sind deswegen noch lange kein Tourist? Kaufen Sie eine Schubkarre und nehmen Sie die Faksimile-Ausgabe von Zettels Traum mit an den Strand. Bei Berücksichtigung dieser einfachen Ratschläge haben Sie keinen Identitätsverlust zu befürchten. Im Gegenteil werden sich die Konturen Ihrer äußeren Person erheblich schärfen. Erleben Sie, was es bedeutet, ein unvergessliches Erlebnis zu sein.
§ 3: Altpapier
Um den menschlichen Frischluftbedarf zu decken und die Verbrennung von wenigstens 400 Kilokalorien in der Woche sicherzustellen, hat sich der regelmäßige Gang zum Altpapiercontainer für Studenten, Künstler und andere Freiberufler als unverzichtbar erwiesen. Zur Erweiterung des Wohnvolumens war der Zeitungskonsument gezwungen, alle paar Tage seine Höhle zu verlassen, sich dem Sonnenlicht auszusetzen und in Kontakt mit der Außenwelt zu treten. Vor allem in Schriftstellerhaushalten schichtete sich der Altpapierausstoß dreier Tageszeitungs-Abonnements zur Fluchttreppe aus dem Elfenbeinturm, sorgte für Bodenhaftung und eröffnete wichtige Recherchemöglichkeiten auf den häufigen Spaziergängen zur blauen Tonne.
Während des Zeitungsentzugs werden Sie vielleicht das Bedürfnis verspüren, zum Alkohol zu greifen, Berge von leeren Flaschen zu erzeugen und auf diese Weise einen Vorwand für substituierende Ausflüge zum Glascontainer zu schaffen. Aber das muss nicht sein. Es gibt auch ohne Zeitung Alternativen zur Alkoholsucht. Da die Zeitungspreise bekanntermaßen ins Unermessliche gestiegen sind, wird es Sie freuen zu hören, dass Sie ganz einfach Ihr eigenes Altpapier erzeugen können. Und das schon ab 200 Euro im Monat. So wird’s gemacht:
1. Kaufen Sie einmal täglich im Schreibwarengeschäft 20 Blatt Papier im Format DIN A2 (ca. 5 Euro).
2. Bedrucken Sie die Blätter mit den Inhalten irgendeiner ReadMe-Datei aus Ihrem Computer (Farbverbrauch ca. 2,10 Euro). Falls die großen Seiten nicht in den Drucker passen, rate ich zur einmaligen Investition in eine Druckmaschine (gebraucht schon ab ca. 3000 Euro).
3. Nun werden die Blätter übereinander gelegt, in der Mitte geheftet und gefaltet.
4. Fangen Sie nicht an, die fertige Zeitung versehentlich zu lesen. Dafür ist sie nicht gedacht.
5. Sammeln Sie Ihr selbstgemachtes Altpapier auf einem Stapel in der Küche.
Mit einem Arbeitsaufwand von zwei Stunden pro Tag – nur sechsmal mehr, als sie
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