Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
wie ein Katalysator für die Suche nach dem eigenen Stil.
    Das DLL hat als Experiment begonnen, als vorsichtiges Tasten nach den Möglichkeiten einer Schriftstellerschule in der Goethe-Nation. Heute sind Sten Nadolny, Thomas Hürlimann, Ernst Jandl, Burkhard Spinnen und Herta Müller wahllos herausgegriffene Namen aus einer Liste von Gastdozenten, die sich wie das Who’s Who der deutschsprachigen Literaturszene liest. Hans-Ulrich Treichel und Josef Haslinger teilen sich als hauptamtliche Professoren den Direktorenposten. Die Geburtsstunde des Popliteratur brachte die Entdeckung der Markthaltigkeit junger Texte mit sich und führte zur viel besungenen und beweinten Wende im Selbstverständnis der dazugehörenden Autoren. Das Durchschnittsalter am DLL ist seit dem Gründungssemester rapide gesunken. Dem flüchtigen Blick zeigt sich die Studentenschar eher als Gruppe selbst- und lifestylebewusster junger Leute denn als Ansammlung vergeistigter Außenseiter. Auch wenn Berufsinformationszentren das Schriftstellerstudium im Gegensatz zu »Fischwirt« und »Gummistrumpfstricker« nach wie vor nicht als antizyklische Schlaumeierei empfehlen, wird es offenbar zunehmend als Ausbildungsmöglichkeit verstanden, die weder Lebenserfahrung noch gescheiterte Selbstmordversuche voraussetzt und deshalb gleich nach dem Abitur in Angriff genommen werden kann. Dabei geht es am Literaturinstitut nicht darum, auf die Schnelle ein paar neue Stuckrad-Barres zum Fertigen markttauglicher Gebrauchsprosa auszubilden und jedem Vordiplom den ersten Verlagsvertrag beizulegen. Das Studium ist Welpenschutz mit Lizenz zum Ausprobieren, damit man sich eine Zeit lang möglichst intensiv und frei von Rechtfertigungsdruck mit sich selbst und der eigenen Literatur beschäftigen kann.
    Von den Dozenten, die allesamt etablierte Schriftsteller sind, kann man – neben vielen anderen Dingen – auch einiges über die Fährnisse des Literaturbetriebs lernen. Offen bleibt die interessante Frage, wie viele Menschen auf der Welt in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt mit dem Veröffentlichen von Romanen zu bestreiten und ob Existenzangst und Marktdruck die literarische Qualität befördern oder eher stören. Noch viel wichtiger ist die Überlegung, inwieweit das Schreiben selbst vom Schreiben leben kann. Die Existenz einer offiziellen Institution, die sich ausschließlich mit dem Schriftstellerwerden beschäftigt, mag geeignet sein, die romantische, jedoch nicht ganz ungefährliche Idee vom Vollblutautor zu befördern. Wenn das Schreiben Begleiterscheinung und Ausdrucksform für etwas anderes, Außerliterarisches ist, sollte dieses andere nicht zur Leerstelle werden. Abgesehen davon stellt das Literaturinstitut, ganz wie das Schreiben selbst, in mancher Hinsicht eine Ausnahmesituation dar. Es kann ganz gut tun, vorher oder währenddessen die Nase in einen literaturfremden Wind zu halten. Mit einem Mindestmaß an Organisation lässt sich das DLL auch im Doppelstudium bewältigen.
    Was man wirklich braucht, um am Literaturinstitut zu studieren, ist eine pathologische Schreib- und Leseobsession sowie den eisernen Willen, alles spannend zu finden, was auch nur im Entferntesten mit Texten zu tun hat. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, stellt sich manchmal erst heraus, nachdem man die ersten Monate bei endlosen Gesprächen über unfertige Kurzgeschichten verbracht hat. Mehr als jede andere Schule ist das DLL auf das Prinzip Freiwilligkeit angewiesen: Alles geht, nichts geht von selbst, könnte das hauseigene Motto lauten. Es werden Drehbücher geschrieben und verfilmt, literarische Reiseführer produziert, Partys gefeiert, Lesereihen organisiert und eigene Anthologien herausgegeben. Soviel und solange die Studenten wollen. Und keinen Millimeter darüber hinaus.
    Ich selbst verdanke dem Literaturinstitut genug, um am liebsten jeden hinschicken zu wollen, dem das Schreiben keine Ruhe lässt. Ohne das Studium hätte ich nicht den Mut aufgebracht, der Literatur einen zentralen Stellenwert in meinem Leben einzuräumen. Ich hätte mir die Zeit nicht gegeben, um so viel Aufwand und Ausdauer aufs Schreiben zu konzentrieren, und deshalb viele Dinge nicht oder erst viel später erfahren, die zum Dreh- und Angelpunkt meiner Beschäftigung mit Literatur geworden sind. Dass ich »Lebender Schriftsteller« weiterhin für ein Glaubensbekenntnis halte und alles unternehme, um keiner zu werden, mag an einem ungünstigen Verlauf meiner Kindheit liegen. Totsein hat immer noch Zeit,

Weitere Kostenlose Bücher