Alles auf dem Rasen
einer ganzen Reihe von akademischen Abschlüssen an. Vielmehr liegt es an mangelnder Erfahrung mit Lehranstalten wie dem DLL im Dichter-und-Denker-Land. Trotz der Spotlicht-Bestrahlung des neuen Literaturinstituts im Zuge anhaltenden Medieninteresses stellt man sich unter »Schreibwerkstatt« noch immer creative writing und damit eine Selbsterfahrungsgruppe vor, in der ein paar Neurotiker beim Warmwassertreten ihre Kindheit aufarbeiten. In freien Versen.
Natürlich braucht man zum Schreiben keine Neurose, sondern – genau wie für alle anderen Kunstrichtungen – vor allem Talent, das sich weder durch Fleiß noch durch guten Unterricht ersetzen lässt. Diese Erkenntnis hat zur Einrichtung von Aufnahmeprüfungen an sämtlichen Kunsthochschulen geführt.
Die anschließende Ausbildung am DLL umfasst sechs Semester und gliedert sich ähnlich wie ein Magisterstudiengang in Haupt- und Nebenfächer. Die unbenoteten Leistungsscheine in den drei wählbaren Fachgebieten Prosa, Lyrik und Drama/Neue Medien werden in theoretischen und praktischen Seminaren erworben. Letztere, sogenannte Werkstattseminare, sind der eigentliche Kern der Ausbildung. Aber auch die theoretischen Fächer orientieren sich vor allem an den Bedürfnissen der Schreibenden. Es geht weniger darum, Proust, Mann oder Pynchon einem historischen Kontext oder einer literarischen Epoche zuzuordnen. Viel interessanter ist, wie sie diese unerhört guten Romananfänge hinkriegen. Für Werkstattseminare schreiben die Studenten Texte zu einem vereinbarten Thema oder innerhalb einer bestimmten Gattung, wobei die Vorgaben in erster Linie als Schreibanlass dienen sollen. Die mehr oder weniger fertigen Geschichten, Gedichte oder Theaterstücke werden den anderen Teilnehmern zur Verfügung gestellt und im Optimalfall auch gelesen.
Und wie fandet ihr den Text? – Mit einer solchen oder ähnlichen Frage eröffnet der Dozent ein typisches Werkstattseminar. Von »Gut!«, »Langweilig«, »Interessant, aber …«, »Welchen Text?« bis zu ausführlicherem Feedback sind alle Antworten erlaubt. An diese ersten Eindrücke und Geschmacksurteile schließt sich ein ausführliches Lektorat an. Der Job des Autors besteht darin, still zu sitzen und zuzuhören, wie sein Werk in Einzelteile zerlegt, gelobt und beschimpft, missverstanden oder tief empfunden wird. Da ein Text sich selbst erklären muss, ist der Redeanteil seines Schöpfers meist kleiner als jener der anderen Seminarteilnehmer. Notizenmachen hilft, die schwankende Gefühlslage zu kaschieren.
Grob gesagt geht es darum, die Intention eines Textes – nicht notwendig die des Autors – aufzuspüren und herauszuarbeiten, das Geschriebene daran zu messen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Analyse betrifft den Stil ebenso wie Inhalt und Konstruktion, Motive und Bildsprache, die verwendete Perspektive, Charakterisierung der Figuren, Spannung, Klang, Glaubwürdigkeit, Gleichgewicht – kurz, die Frage, ob der Text funktioniert. Das klingt vage und ist es auch. Es käme einem absurden Vorhaben gleich, ein starres Instrumentarium an Regeln und Bewertungskriterien auf literarische Texte anwenden zu wollen. Letztlich geht es in der Literatur wie in der Liebe immer darum, Toastscheiben fallen zu lassen und festzustellen, ob sie endlich einmal mit der Marmeladenseite nach oben auf den Boden schlagen.
Das »Weiche« dieser Methode ist keineswegs ihr Nachteil, wobei die Anführungszeichen der Tatsache geschuldet sind, dass der jeweils betroffene Autor die Besprechungen selten als weich empfindet. Kritikfähigkeit muss mühsam erlernt werden – diese lapidare Feststellung sagt wenig aus über die individuelle, häufig schmerzhafte Entwicklung, die man als Student vor allem während der ersten Semester durchläuft. Bei mir führte das Studium zunächst zu einer profunden Schreibkrise. Ich schrieb nicht mehr heimlich und nicht mehr viel, sondern gar nicht mehr. Am besten nie wieder. Alles, was ich an dieser Stelle über das Gefühl sagen wollte, sich aus einer solchen Krise wieder herauszuarbeiten und plötzlich in die nächsthöhere literarische Etage einzutreten, ist wegen Kitschgefahr dem inzwischen serienmäßig integrierten Rotstift zum Opfer gefallen. Später, nach drei Jahren Studium hatte ich den paradoxen Eindruck, verdammt viel über das Schreiben gelernt zu haben – und zwar ausschließlich Dinge, auf die ich irgendwann von selber gekommen wäre. Nur hätte das viel länger gedauert. Die Schule wirkt
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