Alles auf dem Rasen
Wieso habe keiner etwas gegen creative painting, creative sculpturing oder creative piano playing ?
Ich nahm die Faust herunter und Dozentenpose ein: »Weil writing im Gegensatz zu den anderen genannten Disziplinen nicht notwendig creative ist! Das Arbeitsmaterial des Schriftstellers, die Sprache, steht jedem zur Verfügung. Sprechen und damit in den meisten Fällen auch Denken und Schreiben gehören zum grundlegenden ergo sum des Menschen. Was man vom Umgang mit Tonklumpen, Farbpulver oder Saiteninstrumenten nicht behaupten kann. Worin will ein junger Autor sich üben? Etwas Unwägbares unterscheidet die Fähigkeiten eines Schriftstellers von denen seiner Artgenossen! Hebt ihn aus dem Kreis der Postkarten- und Einkaufszettelverfasser heraus! Wie Gelee Royale die Königin aus der Masse der Arbeitsbienen.«
Interessant, fand der Kulturbeauftragte aus dem All, eifrig kritzelnd, Genie Royal , schöne Überschrift, und das Ganze eine interessante, primitive Sichtweise der Dinge. Auf dem Mars, erklärte er, seien Umgangssprache und literarisches Sprechen zwei essentiell verschiedene Gegenstände. Literarischer Ausdruck habe mit der Niederschrift eines Einkaufszettels so viel zu tun wie das beliebige Anschlagen von Klaviertasten mit der Interpretation einer Beethovensonate. Ein Schriftsteller müsse Eigenschaften und Möglichkeiten der Sprache entdecken und studieren wie ein Bildhauer jene des Steins. Beim Bäcker werde er trotzdem nicht in Hexametern nach Brötchen verlangen. Vielmehr gleiche der Schriftsteller bei Verwendung der Umgangssprache einem Komponisten, der den ganzen Tag Alle-meine-Entchen pfeift. Alle-meine-Entchen werden nicht weiterhelfen, wenn er sich an die künstlerische Arbeit begibt.
»Und können Sie sich vorstellen«, fragte ich gereizt, »diese geheimnisvolle marsianische Literatursprache an einem Institut zu lehren, einem Teil der Universität, wohlbemerkt, auf dessen Korridoren es nach Kreidestaub und Gleichschaltung riecht? In Meisterklassen, wo der Lehrer mit dröhnender Stimme Regelkodizes und Benotungssysteme exerziert und zum Schluss ein Diplom verleiht, ein, ha!, Schriftstellerdiplom?«
So ein Haus wie dieses, sagte der Marsmensch und zeigte auf die Villa hinter uns, wäre vielleicht am ehesten der rechte Ort.
Ich schaute das Gebäude an, als sähe ich es zum ersten Mal, und zuckte die Achseln. Als wir uns umwandten, hatten sich vom Fenster des Seminarraums im ersten Stock blitzschnell fünf Gestalten zurückgezogen.
»Wie dem auch sei«, sagte ich. »Wahre Literatur wird jedenfalls absinth- oder opiumselig bei Nacht verfasst. Sie wird durchlitten, gebrochen, neu geboren. Ihr Schöpfer durchlebt zahllose schauerlich-beglückende Gefühlszustände und sinkt beim ersten Piepsen der Vögel schwer von Welthaltigkeit und erschöpft vom Sichverströmen auf sein bescheidenes Lager. So.«
Mag sein, meinte der Marsmensch, aber warum sollte der Autor, wieder nüchtern, den entstandenen Text nicht mit ein paar Kollegen besprechen? An ihnen erproben, ob das sprachliche Mittel zum gewünschten Ausdruck taugt? Fehlerhaftes verbessern? Warum dürfe er Ehen schließen oder Salons gründen, um sich über Literatur auszutauschen, nicht aber eine Schreibschule besuchen? Eine solche Schule, die nichts sei als ein fortdauerndes Gespräch über entstehende Literatur, müsse doch erst recht wie ein Katalysator wirken. Ein Beschleuniger des ewigen, mit dem Schreiben verbundenen Lernprozesses.
»Immerhin«, sagte ich, Kracauer zitierend, »werden an das Nichtschreibenkönnen, seit es eine eigene Kunstform geworden ist, zunehmend höhere Anforderungen gestellt.«
»Ach!«, rief der Kulturbeauftragte und hatte das Notieren längst eingestellt, »meine These ist, dass sich das Volk der Dichter und Denker partout nicht vom denkenden und dichtenden Genie verabschieden will. Wenn ein Naturvolk nicht mehr an Gott, Kaiser oder väterliche Autorität glauben darf, will es wenigstens Goethe als Götzen. Oder gibt es sonst einen vernünftigen Grund, der gegen die Existenz einer Schreibschule spricht?«
»Ja«, sagte ich. »Die jungen Autoren. Sie sind zu jung und zu hinterhältig. Und zu viele.«
Der Marsianer stutzte und blätterte in seinen Notizen zurück.
»Das Durchschnittsalter am Literaturinstitut«, sagte ich, »liegt geschätzt bei vierundzwanzig Jahren. Worüber, mein grüner Herr, sollen die Grünschnäbel denn schreiben? Über sich selbst? Ihre Kindheit? Die Ostberliner Studenten-WG?«
Aber das sei doch
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