Alles auf dem Rasen
also bemühe ich mich weiterhin um einen bürgerlichen Beruf.
Rotstift beiseite und dem Pathos eine Brücke: Im Rückblick wage ich nicht auszudenken, wie es weitergegangen wäre, wenn vor acht Jahren kein Bekannter dritten Grades zwischen leeren Flaschen und vollen Aschenbechern am Passauer WG-Küchentisch Platz genommen hätte. Nichts gegen staubige Dachböden. Aber die Wohnungen in Leipzig sind billig, die Stadt ist noch immer wunderschön und der Frühling warm. Nach Passau zurückkehren kann man im Zweifel immer noch.
2003
Genie Royal
S chlecht gelaunt saß ich sinnend im Garten hinter der Villa des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, als etwas in den Büschen raschelte und plötzlich hervortrat, nicht weniger grün als das Gebüsch selbst.
Er sei Kulturbeauftragter, stellte er sich vor, vom Mars. Ob ich sagen könne, was ein junger Autor sei? – Dem kann geholfen werden, dachte ich, klemmte die Faust unter das Kinn und richtete den Blick in die Ferne.
»Junge Autoren«, antwortete ich schließlich, »sind wie Critters. Klein und hinterhältig, und niemand weiß, wie sie aussehen. Es sei denn, sie treten im Fernsehen auf.«
Aber an irgendetwas müsse man sie doch erkennen? Vielleicht am Alter?
»Nun ja«, entgegnete ich. »Alter ist eine relative Größe. Vor kurzem noch galt ein Schriftsteller ab vierzig als junger Autor. Dann verfasste Benjamin Lebert sein erstes Buch – nach dieser Rechnung vor der eigenen Zeugung. Junger Autor kann man von minus fünf bis plus fünfundfünfzig Jahren sein.«
Aber es stimme doch, beharrte der Marsbewohner, dass junge Autoren gelegentlich etwas niederschreiben?
»Ach, Schreiben«, seufzte ich und schüttelte den Kopf, »ist ebenfalls eine relative Größe. Meist heißt es, schreiben könnten junge Autoren am allerwenigsten.«
Der Marsianer schaute verdutzt. Er hatte die terrestrische Jungliteratur-Debatte eingehend studiert und recherchierte für ein Feature über Fetische primitiver Kulturen. Schnell fasste er seine Resultate für mich zusammen: Entstanden ist die junge Autorenschaft, weil Schriftsteller nicht wie Popstars zehn Jahre lang Gitarrenunterricht nehmen und sich die Augenbrauen piercen müssen, um berühmt zu werden und morgens lange im Bett bleiben zu dürfen. Ihre Kampftaktik besteht darin, arglosen Lesern zu suggerieren, sie wollten ihre Bücher lesen und nicht die von Goethe, Mann oder Grass. So vergiften sie die abendländische Kultur, töten den Regenwald und reißen nach und nach die ganze Welt in den Abgrund. Ob das zutreffe?
»Hundertprozentig«, bestätigte ich. »Dennoch bemerkt es der Ungeübte nicht immer, wenn er einen von denen vor sich hat. Nehmen Sie im Ernstfall zuerst eine Geschlechtsbestimmung vor, denn die Weibchen sind noch gefährlicher als die Männchen. Sie heißen Fräulein Wunder oder Shooting Starlet und haben mehr Seiten als ihre eigenen Bücher. Und jetzt: Viel Glück und schönen Tag noch.«
Halt! Mir könne er es ja sagen: Gern finge er sich einen jungen Autor zu Forschungszwecken. Ob ich nicht wisse, in welchem Kaffeehaus man am ehesten welche träfe?
»Kaffeehaus?«, spottete ich. »Die Zeiten sind vorbei. Heute gibt es ein ganzes Trainingslager für junge Autoren. Am Deutschen Literaturinstitut sammeln sich mindestens hundert von ihnen. Dort produzieren sie zum Getrommel ihrer Meister einen Erfolgsroman nach dem anderen und heben nur die Köpfe, wenn gelegentlich ein Journalist vorbeikommt, um zu fragen, ob man Schreiben überhaupt lernen könne. Und das …«, an dieser Stelle hob ich Stimme und Faust, »ist doch wohl eine berechtigte Frage. Schließlich verlangt Schöpfertätigkeit Genie. Gott hat auch kein Seminar in Welterschaffung absolviert.«
»Hätte er tun sollen«, meinte der Marsmensch und zückte einen Notizblock. »Und, kann man es lernen?«
»Die jungen Autoren«, sagte ich, »geben darauf abwechselnd drei Antworten. Erstens: Ja, in der Grundschule, mit Griffel auf Schiefer. Zweitens: Nein, ich konnte das schon vor meiner Zeugung und habe mit minus fünf Jahren besser geschrieben als Grass mit fünfundfünfzig. Drittens: Das Handwerk ist vermittelbar, aber Talent schadet auch nicht.«
Er selbst habe lange über eine Gegenfrage nachgedacht, wendete der Marsmensch ein. Warum störe sich nie jemand daran, dass Beethoven mit vierundzwanzig noch Klavierunterricht nahm, dass Michelangelo ausgedehnte Lehr- und Studienjahre hinter sich brachte und Picasso an der Kunstakademie in Barcelona studierte?
Weitere Kostenlose Bücher