Alles auf dem Rasen
einer programmwidrig strahlenden Herbstsonne und entspannten Besuchern nicht gemerkt hätte, wenn es nicht zur Eröffnung jeder Ansprache wiederholt würde. Ist die Buchmesse jemals der richtige Ort für ernsthafte weltpolitische Diskussionen oder auch nur für schlechte Laune gewesen? Wir tunken einander Krawattenspitzen und Pferdeschwanzenden in die Sektgläser und versichern uns gegenseitig, wie anstrengend das alles ist. Ich bin eingequetscht zwischen lauter Messefuzzis und stelle erstaunt fest, dass ich heuer selbst ein Messefuzzi bin, mich dabei fast genau wie immer fühle, nur ein bisschen besoffener, und dass es eigentlich ein Wunder ist, wie sich Jahr für Jahr eine solche Menschenmenge aus ganz Deutschland und ein paar anderen Staaten hier versammelt, um sich mit der schlecht verkäuflichsten Sache der Welt zu beschäftigen. Würde es sich um ein Treffen von Juristen, Filmschauspielern oder Taubenzüchtern handeln, wären die Gespräche nicht tiefschürfender, die Witze nicht besser und das Lamento nicht leiser. Stumm formuliere ich eine Liebeserklärung an den Literaturbetrieb, vor dem schon meine Eltern mich immer gewarnt haben.
Am Samstagabend habe ich das Gröbste hinter mir. Ich habe eine Preisnominierung entgegen- und Nobel- sowie Friedenspreisverleihung zur Kenntnis genommen. Ich habe die Habermas-Rede für morgen, die sich mit religiös motivierter Gewalt auseinander setzen will und doch ganz schnell wieder bei der Gentechnik landet, bereits gelesen und zeige Symptome einer Keksvergiftung. Müde bin ich, geh zur Ruh. Ich habe nichts dazugelernt, aber auch nichts vergessen, nichts gewonnen und nichts verloren, außer meiner Nagelschere, die mir am Flughafen abgeknöpft wurde. Ein Wort für das Ganze drängt sich mir auf: harmlos. Kann Harmlosigkeit – angesichts der »Weltlage« zum Beispiel oder gegenüber der theoretisch möglichen Bedeutung von Literatur – ein Verbrechen sein? Oder bleibt Harmlosigkeit vor allem immer eins: die Abwesenheit von etwas Schlechtem, Schädigendem? – Vielleicht kommt es darauf an, ob die Harmlosigkeit Folge eines verfehlten Normalitätsbewusstseins ist oder ob sie als Zeichen einer in Friedenszeiten erworbenen Routine gedeutet werden kann, durch die uns auf die Schnelle Tonfall und Gestik für das Abhalten einer Trauerveranstaltung fehlen. Das überall spürbare »Trotzdem« lässt vermuten, dass in Frankfurt Letzteres der Fall war.
Sorgen macht mir das Gefühl, drei Bücher verkauft zu haben, von denen noch keins geschrieben ist. Im Terminkalender finde ich Verabredungen für die zweite Buchmesse in meinem Leben, im Frühjahr in Leipzig. Diesen Messebericht verfertige ich auf der Toilette eines Erste-Klasse-Waggons der Deutschen Bahn, wo sich die einzige Steckdose für meinen Computer befindet, mit der Abbildung eines Rasierapparats daneben. Jetzt ist sie also vorbei, die Zeit der Unschuld und Abstinenz, und ich fühle mich eigentlich genau wie vorher. Nur ein bisschen besoffener.
2001
Marmeladenseiten
V om Deutschen Literaturinstitut Leipzig, liebevoll DLL genannt, hörte ich zum ersten Mal über den Freund eines Bekannten meiner Freundin. Er war zu Besuch, saß in der stilechten Keiner-bringt-Altglas-weg-Küche unserer Passauer WG und erstattete Bericht. Als einer der Ersten nach der Neugründung im Jahr 1995 hatte er die Aufnahmeprüfung bestanden und studierte nun an einer Schriftstellerschule.
An einer was?
Wir schrieben das Jahr drei ante Pop . Nach allgemeiner Auffassung befand sich ein Schriftsteller unter vierzig in der pränatalen Phase seiner beruflichen Existenz.
»Du schreibst auch?«, fragte er. »Und versteckst dich dazu auf dem staubigen Dachboden? Ziemlich heiß da oben, oder?«
Seit meinem siebten Lebensjahr schrieb ich möglichst heimlich viel Papier mit langen Geschichten voll und empfand dies als latent peinliche Angelegenheit. Die Berufsbezeichnung »Lebender Schriftsteller« hielt ich eher für ein Glaubensbekenntnis, dessen Anhänger, abgesehen von ein paar Prinzipalen, dem Orden der Bettelmönche angehörten. Autoren, die ich mochte, waren seit hundert Jahren tot und hatten zuvor bürgerliche Berufe ausgeübt. Vielleicht war das der Grund, warum ich gerade im dritten Semester mit dem Versuch beschäftigt war, mein Studium der Rechtswissenschaft einigermaßen erträglich zu finden. Literarische Diskurse in meiner Umgebung bezogen sich hauptsächlich auf die Anschaffungspreise juristischer Standardwerke.
Auf Nachfrage referierte
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