Alles auf eine Karte
konnte ich nicht mehr einschlafen, also kramte ich meinen Laptop hervor und klappte ihn auf. Ich bestellte mir noch einen Kaffee und warf einen raschen Blick in die Reihe hinter mir: Kent schlief wie ein Murmeltier.
Ich erweckte meinen Computer zum Leben, wobei ich prompt an Aaron und sein neues Leben denken musste. Ein Armutszeugnis, dass ich noch immer damit beschäftigt war, meine Wunden zu lecken, während er offenbar sofort nach unserer Trennung wieder auf die Jagd gegangen war. Flirts? Dates? Zappeln lassen? Das liegt mir alles überhaupt nicht. Weil ich diese ganze Materie so haarsträubend fand, hatte ich kürzlich sogar begonnen, mein Leben als wiedergeborener Single in kleinen Notizen festzuhalten.
Zunächst war es nur ein Wirrwarr aus Gedanken, aber schon bald hatte sich daraus eine fixe Idee entwickelt: eine Serie von Grußkarten mit witzigen Sprüchen für Singlefrauen, die ich »Süße Grüße« nannte – ein kläglicher Versuch, der ganzen Angelegenheit mit einem Schuss Ironie zu begegnen. Aaron hatte mich nämlich immer »Süße« genannt, und ich hatte ihm unzählige Haftnotizen auf dem Kopfkissen, auf der Windschutzscheibe oder am Badezimmerspiegel hinterlassen, die ich mit »deine Süße« signiert hatte.
Bislang hatte ich noch niemandem davon erzählt, aus Angst, deswegen ausgelacht zu werden.
ENTWÜRFE FÜR GRUSSKARTENSERIE »SÜSSE GRÜSSE« –
TOP SECRET! (WEIL ICH DESWEGEN BESTIMMT
AUSGELACHT WERDE)
Vorderseite: Er hat dich also sitzenlassen?
Innenseite: Sei froh, dass du ihn los bist, Süße. Gegen den Kerl war Quasimodo noch der reinste Adonis.
Vorderseite: Warum kreisen unsere Gedanken gerade dann so hartnäckig um einen Mann, wenn wir uns fest vorgenommen haben, nicht mehr an ihn zu denken?
Innenseite: Auf manche Fragen gibt es keine Antwort, Süße. Aber es gibt immer Schokolade.
Vorderseite: Du hast endgültig die Nase voll von Blinddates?
Innenseite: Steck die Nase einfach vorher in ein paar Gläser Merlot, Süße, das macht die Sache viel erträglicher.
Vorderseite: Du kennst doch diese rätselhafte Trägheit, die dich befällt, sobald du aufstehst, um ins Fitnessstudio zu gehen …
Innenseite: Süße, wo zum Teufel bleibt diese Trägheit, wenn du aufstehst, um dir etwas aus dem Kühlschrank zu holen?
Vorderseite: Darf man mit über dreißig noch richtig lange Haare haben?
Innenseite: WAS FÜR EINE FRAGE , Süße. Aber SICHER DOCH !
(Ich bin zwar noch nicht ganz dreißig, aber es ist schon bald so weit – viel zu bald)
In dem Moment fiel mir Folgendes ein:
Vorderseite: Dein Ex schmiedet Hochzeitspläne, während du noch immer Single bist?
Innenseite: Stell dir einfach vor, du wärst ein Grundstück in erstklassiger Lage, Süße. Dein Marktwert wird garantiert steigen. Und steigen. Und steigen.
Ich überflog kurz die übrigen Sprüche. Auch wenn es oft wehtat, meine Gedanken in Worte zu fassen, fand ich sie lustig. Ob andere das wohl auch so sahen? Keine Ahnung.
Ich schloss die Augen, um ein bisschen zu dösen, und ehe ich es mich versah, setzte der Pilot auch schon zur Landung an.
*
Rosa, rosa, rosa. Keine Ahnung, wer in diesem Hotel für die Inneneinrichtung verantwortlich war, aber er oder sie musste Barbies größter Fan sein. Ich stellte den Koffer in der Mitte meines Zimmers ab und sah mich um.
Sämtliche Schattierungen von blassrosa bis knallpink waren vertreten, von der Seife im Bad über die Bettwäsche und das Blütenmuster der Tapeten bis hin zu den Blumen, die in der Vase auf dem Tisch standen. Bei diesem Übermaß an Rosa bekam ich schlagartig Lust auf Zuckerwatte. Aber im Grunde konnte ich mich nicht beklagen; es war ein tolles Zimmer, und JAG kam für die Kosten auf.
Ich ging zum Fenster, schob die Gardinen beiseite und erspähte zwölf Etagen tiefer einen wunderschönen Pool. Jammerschade, dass nicht Sommer war! Ich hätte es mir zu gern mit einer Margarita und einem guten Buch dort unten an den künstlichen Wasserfällen gemütlich gemacht. In so teuren Hotels war ich bislang nur mit Aaron abgestiegen, was ja nun endgültig vorbei war. Gut, hin und wieder war ich auch auf Geschäftsreisen ziemlich anständig untergebracht, aber in diesen Fällen hatte ich nie genügend Zeit, um den Aufenthalt gebührend genießen zu können.
Ich ging zum Kleiderschrank, der sich an der gegenüberliegenden Wand befand, und öffnete ihn.
Ah, da war er – der Hotelbademantel.
Blütenweiß und flauschig weich, Kostenpunkt schätzungsweise hundertfünfzig
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