Alles auf eine Karte
wenn du allein bist, kann dir wenigstens keiner die Fernbedienung streitig machen.
KAPITEL 9
Am Samstagmorgen stand ich früh auf, verdrückte zwei Schüsseln Lucky Charms und las dabei die Zeitung. Als ich mich schließlich in der Lage fühlte, den Tag (und den Besuch bei meinem Dad) anzugehen, schlüpfte ich in Jeans und ein marineblaues Sweatshirt mit California-Berkeley-Aufdruck, schnappte mir meine Autoschlüssel und machte mich auf den Weg. Ich band meine Haare zum obligatorischen Pferdeschwanz zusammen und versuchte, mir in Erinnerung zu rufen, wo ich geparkt hatte. Wo zum Teufel war mein Auto? Dass ich mir das aber auch nie merken konnte. Einmal war ich sogar überzeugt, es sei gestohlen worden und hatte gerade die Polizei anrufen wollen, als mir einfiel, dass es gleich um die Ecke stand.
Ich hielt inne, schloss die Augen und konzentrierte mich. Nach etwa einer halben Minute angestrengten Nachdenkens fiel es mir wieder ein. Ich spazierte zwei Straßen in südliche Richtung, und tatsächlich: An der Ecke Steiner und Pine Street stand mein grüner Saab. Ich stieg ein, warf meine Handtasche auf den Rücksitz und startete den Motor. Sacramento, ich komme.
Ich drehte so lange am Radio, bis ich einen Song von U2 gefunden hatte. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass man garantiert nach spätestens vier Minuten Suche einen Radiosender aufgetan hat, auf dem gerade ein Lied von U2 läuft. Ist das nicht faszinierend?
Etwa nach der Hälfte von Beautiful Day klingelte mein Handy. Ich kramte es aus der Handtasche und warf einen Blick auf das Display. Es war Davey. Ich klappte das Telefon auf und steckte mir den Knopf der Freisprechanlage ins Ohr.
»Morgen, Davey! Was gibt’s?«
»Waverly! You got me all shook up«, tönte es in ohrenbetäubender Lautstärke aus der Leitung.
»Was?«
»C’mon, Bryson, don’t be cruel. Please, let me be your teddy bear!«
»Du hörst wohl mal wieder deine Elvis-Greatest-Hits-CD, was?«
»It’s now or never, you know.«
»Okay, Mister Mason. Also, womit kann ich dienen?«
Er schnaubte. »Schon gut, schon gut, ich werde dir schon nicht zu viel von deinem wertvollen Samstag rauben. Ich wollte dich bloß bitten, mir die letzten paar Berichte und Auswertungen zum Status quo an meine private E-Mail-Adresse zu schicken. Wir haben ein Problem mit dem Server, deshalb komme ich von zu Hause aus nicht in meinen JAG -Account rein.«
Ich schluckte. »Du ziehst dir am Wochenende unsere Berichte rein? Warum denn das?«
»Och, ich arbeite nur gerade an einer PR -Präsentation für unsere Vertriebsabteilung, und die muss am Montagmorgen fertig sein.«
»Für die Vertriebsabteilung?«
»Genau. Gabrielle Simone hat mich gestern Nachmittag darum gebeten, aber ich bin nicht mehr dazu gekommen.«
»Eure Vertriebsleiterin hat eine PR -Präsentation angefordert?«
»Wie bitte?«, sagte er. »Ich höre dich kaum noch.«
»Wie bitte?«, sagte ich. »Ich höre dich kaum noch.«
»Hallo?«
»Hallo?«
»Hörst du mich jetzt?«
»Was?«
»Ah, ich glaube, wir haben eine Anruferin in der Leitung. Waverly Bryson aus San Francisco, Sie sind auf Sendung!«
Ich lachte. »Jetzt höre ich dich wieder. Kannst du mir mal verraten, warum ausgerechnet im Silicon Valley, dem angeblich bedeutendsten Technologiezentrum der ganzen Welt , das Telefonnetz derart miserabel ausgebaut ist?«
»Berechtigte Frage. Ich bin sicher, wenn du dich telefonisch beschwerst, dann wird dir, falls du nach einer Wartezeit von gut zwei Stunden nicht aus der Leitung geflogen bist, ein freundlicher Mitarbeiter vom Kundenservice mit Sitz in Indien erzählen, dass er leider nichts daran ändern kann.«
»Pfff. Okay, ich schicke dir die Berichte heute Abend, sobald ich wieder zu Hause bin. Aber das stelle ich Ihnen extra in Rechnung, Mister Mason.«
»Etwas anderes habe ich auch gar nicht erwartet, Miss Bryson.«
»Ciao, Davey.«
*
Zwei Stunden später hatte ich die Valley Pines Wohnwagensiedlung erreicht und folgte dem gewundenen Weg zum Stellplatz meines Vaters. Ich dachte an den ersten (und letzten) gemeinsamen Besuch mit Aaron hier. Er war damals wirklich süß gewesen, hatte krampfhaft versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie unwohl ihm in seiner Haut war. Der Anblick seines Neunhundert-Dollar-Mantels, der neben der orangefarbenen Jagdjacke meines Vaters hing, hat sich auf ewig in mein Gedächtnis eingebrannt.
Eine Staubwolke umgab mich, als ich den Wagen auf dem Kiesweg anhielt, das Lenkrad umklammert, und durch das
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