Alles auf eine Karte
versucht, ihr Medizinstudium und das Eislauftraining unter einen Hut zu bringen, und Shane war zu der Zeit ein aufgehender Stern am NBA -Himmel gewesen. Laut Kristina war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, und wenige Monate später hatten sie sich verlobt. Das perfekte Paar eben.
Sie schob sich eine Gabel Schokotrüffeltorte in den Mund. »Und was ist mit Ihnen? Wie gestaltet sich das Liebesleben in San Francisco denn so?«
Ich warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Hmm, wo soll ich anfangen – bei meinem Exverlobten, der soeben geheiratet hat, oder bei der Tatsache, dass ich seit ungefähr elf Jahren keinen Sex mehr hatte?«
Sie verschluckte sich beinahe an ihrem Dessert. »Waverly, Sie sind einfach zum Schießen.«
»Also gut, das war etwas übertrieben«, sagte ich. »Lassen Sie es mich so formulieren: Im Augenblick durchlebe ich gerade eine Durststrecke.«
»Ahhh, ich hasse solche Phasen. Aber keine Sorge, es klingt ganz danach, als wären Sie demnächst fällig.« Sie kramte ein wenig in ihrer Handtasche und brachte schließlich einen Lippenstift zum Vorschein. Nachdem sie sich die Lippen nachgezogen hatte, deponierte sie die Tasche wieder zwischen uns. »Das Schönste am Singledasein war für mich immer der Moment, in dem sich das Ende einer Durststrecke abgezeichnet hat.«
Ich lehnte mich lachend in meinem Sessel zurück. »Ich kann nur hoffen, dass Sie Recht behalten, denn im Moment ist das Schönste am Singledasein für mich, dass ich die Packung Eiscreme, die ich regelmäßig zum Abendessen verdrücke, mit niemandem teilen muss; was leider nicht folgenlos bleibt. Meine Jeans sitzen schon ziemlich eng.«
Als wir uns ein paar Stunden später vor der Gepäckausgabe des New Yorker Flughafens verabschiedeten, reichte ich Kristina meine Visitenkarte. »Ich habe mich riesig gefreut, Sie kennenzulernen. Hier, meine Karte, mit meiner Handynummer und der Büronummer. Sie müssen mich unbedingt anrufen, wenn Sie mal in San Francisco sind. Und bestellen Sie Shane doch bitte einen Gruß von mir, ja?«
»Mach ich. War schön, mit Ihnen zu plaudern. Wiedersehen, Waverly.«
»Wiedersehen.«
Ich nahm meinen Koffer und humpelte zu einem Taxi, und als wir nach ein paar Kilometern die Innenstadt erreicht hatten und durch die hell erleuchteten Straßen von Manhattan kurvten, lächelte Kristina von einem riesigen Werbeplakat für Whisper-Parfum auf mich herab.
*
Gegen dreiundzwanzig Uhr checkte ich in mein Hotel ein. Dann ging ich aufs Zimmer, öffnete meinen Koffer und hängte die knitteranfälligen Kleider in den Schrank, weil ich es um jeden Preis vermeiden wollte, irgendetwas bügeln zu müssen. Ich hasse bügeln. Hasse, hasse, hasse es. Ich kaufe bewusst fast ausschließlich Klamotten, die man ungebügelt anziehen kann, wie sie aus dem Wäschetrockner kommen. Waverly Bryson mit einem Bügeleisen in der Hand, das ist ein mindestens genauso seltener Anblick wie Sean Penn bei einer Versammlung der Republikaner. Leider sind Hotelzimmer selten mit Wäschetrocknern ausgestattet, was das Bügeln dann doch zuweilen unumgänglich macht. Aber ich hasse, hasse, hasse es trotzdem.
Ich schlüpfte in meinen Schlafanzug, machte mir einen Pferdeschwanz und bestellte beim Zimmerservice ein Sandwich mit Schinken und Käse und einen grünen Salat. Dann setzte ich mich im Schneidersitz auf das Bett, so gut es mit dem Gips eben ging, und schaltete den Fernseher ein.
Es klopfte an der Tür. »Zimmerservice!« Die Vorfreude auf mein spätnächtliches Abendessen ließ mir wie bei einem Pawlowschen Hund sogleich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Vorsichtig kletterte ich aus dem Bett und humpelte zur Tür. Der Hotelpage schob einen Servierwagen herein. »Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen?«
»Hm, vielleicht einen heißen Lover und einen neuen Knöchel?«
»Wie, bitte?«
»Vergessen Sie’s, war nicht ernst gemeint.« Ich drückte ihm ein paar Dollar Trinkgeld in die Hand und schloss die Tür. Erst dann schaute ich auf die Rechnung, die ich gerade unterschrieben hatte: achtundzwanzig Dollar und fünfzig Cent – für ein Schinken-Käse-Sandwich, einen grünen Salat und eine Flasche Wasser. Ein Glück, dass ich hier auf Firmenkosten logierte!
Eine Stunde später schaltete ich den Fernseher aus und wollte schlafen gehen, doch dann beschloss ich, noch schnell meine E-Mails zu checken, und außerdem wollte ich noch ein wenig an meinen Süßen Grüßen arbeiten. Ich fuhr meinen Rechner hoch, löschte ungefähr siebentausend
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