Alles auf eine Karte
Ich hatte es geahnt. Sie würden mich zurück in die Holzklasse verfrachten.
»Einer Passagierin in der dritten Reihe ist etwas übel geworden. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir ihre Sitznachbarin auf den Platz neben Ihnen setzen, damit die angeschlagene Dame etwas mehr Freiraum hat?«
»Ach, so. Aber nein, natürlich nicht.« Ich nahm meine Handtasche vom leeren Sitz neben mir.
»Vielen Dank, Miss Bryson.«
»Kein Problem.« Hauptsache, ich durfte in der ersten Klasse bleiben. Ich zappte ein bisschen durch die Kanäle meines Fernsehers und sah aus den Augenwinkeln, wie sich jemand auf dem Gangplatz neben mir niederließ.
»Verzeihung, können Sie mir sagen, wie spät es ist?«
Ich sah auf die Uhr. »In Kalifornien oder in New York?«
»Berechtigte Frage. Ähm, in New York.«
»Dort ist es jetzt ungefähr halb sechs. Ich glaube, wir landen gegen zweiundzwanzig Uhr«, sagte ich, während ich meine Uhr entsprechend umstellte.
»Danke. Tut mir übrigens sehr leid, dass ich hierher versetzt wurde. Ich weiß, wie angenehm es ist, wenn man die ganze Reihe für sich hat.«
»Kein Problem. Es stünde mir ohnehin nicht zu, mich zu beschweren; ich sitze nur hier, weil die Economyclass überbucht war.«
Ich wandte den Kopf zur Seite und erstarrte, als ich sah, wer neben mir Platz genommen hatte.
Es war Kristina Santana, Shane Kennedys Ehefrau.
»Ach du grüne Neune«, stieß ich hervor. Dass ich mir aber auch jede Gemütsregung gleich anmerken lassen muss!
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich.
Ich schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Äh, ja, ja, ich habe Sie bloß jetzt erst erkannt. Ich bin ein großer Fan … von Ihren Eislaufkünsten, meine ich. Ich habe Sie bei den Olympischen Spielen gesehen.« Mann, geht’s noch abgedroschener?
Sie lächelte und entblößte dabei die weißesten Zähne, die ich je gesehen hatte. »Vielen Dank. Wie heißen Sie?«
»Waverly. Waverly Bryson.«
»Waverly? So wie die …«
»Ja, so wie die Cracker von ganz, ganz früher, genau«, fiel ich ihr ins Wort und grinste.
Sie lachte. »Das hören Sie bestimmt oft. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sie streckte mir die Hand hin.
»Ich habe übrigens vor ein paar Monaten mit Ihrem Ehemann zusammengearbeitet«, sagte ich. »Im Rahmen einer Kampagne für JAG .«
Sie kniff die Augen ein wenig zusammen. »Ich hoffe doch, er hat sich anständig benommen?«
Ich nickte. »Oh, ja. Er war ein richtiger Schatz. In meiner Branche hat man so oft mit Leuten zu tun, die sich aufführen wie eine Primadonna, aber Shane gehört eindeutig nicht in diese Kategorie. Er hat mir sogar ein paarmal Kaffee geholt.«
Kristina lachte erneut. »Das überrascht mich nicht. Wenn er ein Chauvinist wäre, hätte ich ihn garantiert nicht geheiratet. Vermutlich wäre ich nicht einmal mit ihm ausgegangen.« Sie nippte an ihrem Mineralwasser. »Ich habe in all den Jahren auch eine ganze Menge selbstgefälliger Sportler kennengelernt, und glauben Sie mir, dieses divenhafte Getue hängt mir echt zum Hals heraus.«
»Wem sagen Sie das.« Ich nahm meine Cola Light zur Hand. »Ich musste einmal eine PR -Tour für einen Promi organisieren, der für einen Baseballhandschuh geworben hat. Das war vielleicht eine Nervensäge! Sobald keine Kameras mehr liefen, war er unglaublich arrogant und unhöflich zu allen. Er war so eingebildet, dass er einmal beinahe aus einem Liveinterview für die Today Show ausgestiegen wäre, nur weil der Reporter behauptet hat, er hätte noch nie von ihm gehört.«
»Tatsächlich?«
Ich nickte. »Und stellen Sie sich vor, nach dem Interview hat der Reporter lachend verkündet, er hätte gelogen, um den Spieler zu provozieren. Natürlich war ihm klar gewesen, wen er da vor sich hatte.«
»Großartig!«
Ich grinste. »Ja, nicht? Schade, dass ich nie auf solche Ideen komme. Das habe ich dem Reporter auch gesagt. Mit dem Baseballstar hatte ich nach der PR -Tour Gott sei Dank nie wieder zu tun, aber mit dem Reporter bin ich heute noch befreundet.« Der gute alte Scotty Ryan.
So unterhielten wir uns schließlich fast den ganzen Flug über. Erst wollte Kristina wissen, wie ich mir den Knöchel gebrochen hatte, dann sprachen wir über unsere Arbeit, über unsere Familien(eigentlich eher über ihre), und natürlich über olympische Medaillen (ebenfalls ihre). Kristina und Shane hatten sich vor sechs Jahren bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Chicago kennengelernt, wo sie beide aufgewachsen waren. Sie hatte damals
Weitere Kostenlose Bücher