Alles auf eine Karte
stellte sein leeres Glas auf dem Tisch ab und machte sich auf den Weg.
Ich verfolgte, wie er sich durch die Menge schob, aber der Raum war so gerammelt voll, dass ich mir dabei fast den Hals verrenkte. Also gab ich auf und widmete mich wieder der spannenden Frage, welche der hier anwesenden Profisportler wohl noch vom anderen Ufer sein mochten.
Fünf Minuten später kehrte Scotty mit zwei Margaritas zu mir zurück. Er setzte sich und stellte die Drinks auf den Tisch.
»Na?«, fragte ich.
»Er ist in Begleitung einer brünetten Frau hier«, sagte er mit gerunzelter Stirn.
»Und?«
»Und ich bin leider ziemlich sicher, dass sie seine Freundin ist.«
»Seine Freundin?«, stöhnte ich. »Wie soll ich ihn denn bitte schön verführen, wenn er mit seiner Freundin hier ist?«
Scotty lachte. »Verführen?«
Ich lief rot an. »Oder wie auch immer man das heutzutage nennt. Ich bin diesbezüglich nicht mehr ganz auf dem Laufenden, war zu lange runter vom Markt. Bist du sicher, dass sie seine Freundin ist?«
»Ja, bin ich. Sie haben Händchen gehalten. Tut mir leid, Prinzessin. Der Kerl hat echt Nerven, wo du doch gerade heute so umwerfend aussiehst.«
Ich war am Boden zerstört. »Aber … wenn er lächelt, wird mir ganz schmelzig ums Herz.«
Scotty tätschelte mir den Kopf. »Los, komm, gehen wir in den großen Saal. Schmelzig? Gibt es das Wort überhaupt?«
Mit unseren Margaritas in der Hand folgten wir der Prozession in den großen Ballsaal, der seinem Namen alle Ehre machte. »Ungefähr so muss es in der Pause eines Broadwaymusicals zugehen«, bemerkte ich kopfschüttelnd.
Als wir den Saal betraten, holte ich meine Tischkarte aus meiner schwarzen Clutch, die wie fast alle eleganten Abendhandtaschen viel zu klein war, um auch nur einen Bruchteil der Gegenstände aufzunehmen, die ich brauchte, seien es nun Portemonnaie, Handy oder Notfall-Snickers.
»An welchem Tisch sitzt du denn, Scotty?«
Er zog seine Karte aus der Tasche. »Fünfunddreißig, und du?«
»Dreiundfünfzig. Sind wir vielleicht irrtümlich auf einer Hochzeit von Liz Taylor gelandet?«
Er schüttelte den Kopf. »Dafür ist sie zu klein.«
»Hey, tanzt du nachher mit mir, falls wir uns nach dem Dinner wiederfinden? Müsste allerdings ein Blues sein, Macarena und Electric Slide sind mit diesem Ding hier leider ausgeschlossen.« Ich deutete auf meinen Gips.
»Aber klar doch, Herzchen.« Er zwinkerte mir noch einmal zu, dann war er weg.
*
Tisch dreiundfünfzig war unbestreitbar ein Singletisch, aber zum Glück war es nicht DER Singletisch. Vermutlich hätte man bei einer so riesigen Hochzeit mit den anwesenden Singles einen eigenen Singlesaal mit eigener Tanzfläche füllen können. Der Raum, in dem wir saßen, war so groß, dass ich weder Braut noch Bräutigam entdecken konnte, geschweige denn Jake, also konzentrierte ich mich stattdessen auf das Weinglas vor mir.
Nachdem ich mir einen flüchtigen ersten Eindruck von meiner Tischgesellschaft verschafft hatte, war ich zu dem Schluss gekommen, dass dieses Glas wohl das einzige war, was meine Lippen heute Abend berühren würden. Wir machten uns miteinander bekannt, und dann folgte der auf Hochzeiten gängige Smalltalk:
»Und, woher kennen Sie die Braut?«
»Ach, ja? Dann kennen Sie bestimmt auch XY ?«
»Und, woher kennen Sie den Bräutigam?«
»Ach, ja? Dann kennen Sie bestimmt auch XY ?«
»Und, woher kommen Sie?«
»Ach, ja? Dann kennen Sie bestimmt auch XY ?«
»Und, wo sind Sie zur Schule gegangen?«
»Ach, ja? Dann kennen Sie bestimmt auch XY ?«
»Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Smalltalk unweigerlich immer im Kennen-Sie- XY -Spiel endet?«, sagte ich schließlich und warf einen Blick in die Runde.
Erschwerte Bedingungen herrschten bei der Unterhaltung durch die Blumendekoration, die weiß und wunderschön und einfach überall war, vor allem auch auf den Tischen. Das Gesteck in der Tischmitte, eine überdimensional große Kugel aus weißen Blüten, maß gut sechzig Zentimeter im Durchmesser und versperrte mir weitgehend die Sicht auf die Leute, die dahinter saßen. In Anbetracht der Tatsache, dass man offenbar keine Kosten und Mühen gescheut hatte, um die perfekte Hochzeit auf die Beine zu stellen, war mir schleierhaft, wie man dieses nicht ganz unerhebliche Detail hatte übersehen können.
Dafür gab es am Essen nun wirklich nichts auszusetzen. Schon die Vorspeisen waren eine Wucht, und dann standen Hummer, Hühnchen, oder Rinderfilet an Jasminreis und
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