Alles auf eine Karte
Singletisch, nehmt euch in Acht!«
*
Die kirchliche Trauung von Cynthia und Dale fand in der St. Luke’s Church statt. Das hielt ich für ein gutes Omen, da ich mehrere Männer namens Luke kennengelernt hatte, die alle überdurchschnittlich attraktiv waren, und ich wurde nicht enttäuscht: Die Kirche war wunderschön, hoch und schmal gebaut, mit tollen Glasfenstern, die bunte Muster an Decke und Wände warfen.
Unglaublich, wie viele Menschen sich auf den Bänken drängten. Es kam mir vor, als wären es mindestens fünfzigtausend. Ich hatte Cynthia nicht gefragt, wie viele Gäste sie eingeladen hatten, aber eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass es eine so große Hochzeit war, schließlich waren Braut und Bräutigam keine Unbekannten. Dale hat eine Agentur, die Spitzensportler vertritt, Cynthia sitzt in der Geschäftsführung einer international agierenden Marketingagentur. Beide sind beruflich sehr erfolgreich, was zweifelsohne ein gewisses Händchen im Umgang mit Menschen erfordert (und nebenbei bemerkt auch die finanziellen Voraussetzungen für ein derart rauschendes Fest schafft).
Ich nahm diskret in einer der Bänke Platz, sah mich um, blätterte betont lässig im Programmheft und wartete auf den Beginn des Traugottesdienstes. Insgeheim hatte ich das irrationale Gefühl, als würde auf meiner Stirn in dicken Lettern BEIM LETZTEN KIRCHENBESUCH HAT MAN MICH AM ALTAR SITZENLASSEN stehen. Meine nüchterne Seite sagte mir, dass mir Andie, McKenna und nicht zuletzt Kristina die Hölle heißmachen würden, wenn sie wüssten, was ich dachte.
Zum Glück hatten Cynthia und Dale offenbar beschlossen, es kurz und schmerzlos zu machen, was mir ganz recht war. Der Pfarrer kam ziemlich rasch auf das Wesentliche zu sprechen, und dann hieß es auch schon »Willst du?« – »Ja, ich will, und du?« – »Ja, ich will auch.« Wir erhoben uns und applaudierten den Frischvermählten, während sie den Mittelgang entlang in Richtung Ausgang schwebten. (Oder sagt man durch den Mittelgang? Wer weiß das schon?) Jedenfalls schwebten sie glückselig an uns vorüber nach draußen, gefolgt von den Brautjungfern und den Trauzeugen. Zum Schluss strömten die Gäste aus den Bänken und machten sich zu Fuß auf zum Hotel, wo schon alles bereitstand für die große Party.
Ich hoppelte zu einem Taxi und trug dem Fahrer auf, mich zum Waldorf-Astoria zu bringen, das nur wenige Straßen entfernt war. Normalerweise hätte ich die Strecke zu Fuß zurückgelegt wie die anderen Gäste auch, aber es war eiskalt, und mit meinem Gips hätte mich jede Schildkröte überholt. Im Hotel angekommen, überprüfte ich auf der Toilette in der Eingangshalle mein Make-up und den Sitz meiner Frisur, zog meinen Lippenstift nach und machte mich dann auf den Weg zum großen Ballsaal, der sich rasend schnell mit Hochzeitsgästen füllte. Da ich keine Menschenseele kannte, ging ich schnurstracks zu dem Tisch am Saaleingang, an dem die Platzkarten abgeholt werden konnten. Auf meiner Karte stand
Miss Waverly Bryson
Tisch 53
»Tisch dreiundfünfzig? Wer hat denn bitte dreiundfünfzig Tische auf seiner Hochzeit?«, murmelte ich.
»Wie bitte?«, fragte die Angestellte hinter dem Tisch und blickte von ihrem Plan hoch.
»Ach, entschuldigen Sie, ich führe Selbstgespräche.« Hoppla. Aber mal ganz im Ernst, wo sollten all diese Leute Platz finden? Und wie um Himmels willen wollte das Brautpaar es bewerkstelligen, jeden Einzelnen zu begrüßen?
Ich wollte mich eben anschicken, meinen Tisch zu suchen, doch die Angestellte hielt mich zurück. »Das Essen beginnt erst in einer Stunde; bis dahin bittet das Brautpaar zum Empfang in den Astor Salon.« Sie deutete lächelnd auf einen Raum am Ende des Korridors.
»Verstehe. Danke.« Ich machte auf dem (gesunden) Absatz kehrt und folgte einfach den Menschentrauben. Ich wusste, dass Cynthia noch mehr Leute von K.A. Marketing eingeladen hatte und fragte mich, ob ich sie wohl kannte und ob wir am selben Tisch sitzen würden. Vielleicht saß ich aber auch neben einem Prominenten? Ich hatte unter den Gästen bereits mehrere Stars aus den Medien und der Welt des Sports gesichtet.
Im Sunrise Ballroom konnte man auf kulinarische Weltreise gehen. Auf mehreren Tischen wurden verschiedenste Leckereien und Getränke dargeboten: Sushi, Tapas, Frühlingsrollen, Tacos, deutsches Bier und vieles mehr. Kaum hatte ich den Saal betreten, da kam auch schon eine schwarzweiß gekleidete Bedienung mit silbergrauen Haaren auf mich
Weitere Kostenlose Bücher