Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
sehen, wenn der andere verreist ist, und uns über gemeinsame Probleme wie Müllabfuhr und Rasenmähen zu einigen, während wir gleichzeitig eine herrlich oberflächliche Beziehung aufrechterhalten haben.
Aber als ich heute nach Hause kam, trat Jeff plötzlich auf mich zu und blieb dicht, viel zu dicht, vor mir stehen. Ich versuchte, unauffällig einen Schritt zurückzuweichen. »Hi, Saskia«, sagte er. Ich glaube, das war das erste Mal, dass er mich beim Namen nannte.
»Hi, Jeff«, erwiderte ich. Dito.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich wegziehe. Ein kleiner Küstenwechsel.«
»Ein Küstenwechsel«, wiederholte ich.
»Ja, ich ziehe in eine kleine Stadt an der Küste weiter südlich. Ich werde dort ein Café übernehmen. Jeff’s Jetty Café werde ich es nennen.«
Ich war völlig baff. Ich weiß auch nicht genau, warum. Wahrscheinlich habe ich gedacht, er sei nicht wichtig genug, als dass er irgendwelche einschneidenden Veränderungen in seinem Leben vornehmen könne, aber er weiß natürlich nicht, dass er in meinem Leben nur eine Nebenrolle spielt. Er ist der Star seines eigenen Lebens, und ich spiele darin auch lediglich eine Nebenrolle. Und das ist nur gerecht.
»Es liegt zwar nicht an einem Kai«, fuhr er fort, »aber ich werde ihm einen maritimen Look verpassen, mit Tauen und Ankern und … Eimern und so.« Ein Ausdruck von Unsicherheit huschte über sein Gesicht. Er hat nicht die geringste Ahnung, worauf er sich einlässt.
»Klingt großartig«, sagte ich. Das wird ein spektakulärer Reinfall werden.
»Ja. Ich fand, es war an der Zeit, mich vom Polizeidienst zu verabschieden.«
»Sie sind Polizist ?«
Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte ihn nie in Uniform gesehen. Ich hatte ihn für einen Wirtschaftsprüfer oder einen IT-Berater oder meinetwegen einen Buchhändler gehalten. Polizeibeamte sollten gezwungen werden, ihren Nachbarn gegenüber ihren Beruf offenzulegen. Wenn ich ihm nun am Briefkasten beiläufig eine Straftat gestanden oder eine illegale Substanz angeboten hätte?
Und dann ist da noch die Sache mit Patrick. Er droht mir seit langem damit, die Polizei einzuschalten. Lachhaft. Warum soll sich die Polizei für etwas interessieren, das im Grunde eine Privatangelegenheit zwischen zwei Erwachsenen ist? Aber andererseitshabe ich schon sein Haus ohne seine Erlaubnis betreten. Das ist streng genommen Hausfriedensbruch. Mindestens.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie bei der Polizei sind«, fügte ich hinzu. Meine Verärgerung war mir anzuhören.
»Als verdeckter Ermittler«, erklärte Jeff. »Ganz schön stressig. Wirbelt einen gehörig durcheinander. Unmöglich, eine Beziehung aufzubauen. Und ich werde nicht jünger. Ich sehne mich danach, endlich die Richtige zu finden. Irgendwann will ich Vater werden!«
Ich wollte nicht hören, dass Jeff sich danach sehnte, endlich die Richtige zu finden. Das war, als hätte er mir etwas Intimes anvertraut, ein abstoßendes sexuelles Geheimnis.
»Eine nette junge Familie übernimmt das Haus«, fuhr er fort. »Zwei kleine Kinder, ein Junge und ein Mädchen. In Zukunft wird es hier lebhafter zugehen.«
Plötzlich schien er sich daran zu erinnern, was für eine Art Nachbarschaft wir gehabt hatten, und er trat abrupt einen Schritt zurück.
»Tja, ich habe Sie lange genug aufgehalten. Ich wollte Ihnen bloß Bescheid sagen, damit Sie sich nicht wundern, wenn morgen der Umzugswagen vor der Tür steht. Die neuen Mieter werden ein paar Tage später einziehen.«
»Na dann, alles Gute«, sagte ich.
»Danke.« Er lächelte. Es war ein unverhofft nettes, schüchternes Lächeln, und mir wurde seltsam wehmütig ums Herz. Wir hätten Freunde sein können. Ich hätte ihn zu einem Drink oder einer Tasse Kaffee zu mir einladen können. Vielleicht wäre er dann nicht auf diese blöde Idee mit dem Küstenwechsel gekommen.
Vor Patrick wäre ich der Mensch gewesen, der genau das getan hätte. Das ist alles nur Patricks Schuld.
Eine »nette junge Familie« wird also künftig nebenan wohnen. Ich werde mich nicht länger vor dem Glück der anderen in meine nichtssagende kleine Doppelhaushälfte flüchten können. Ich kann allein den Gedanken, tagein tagaus mit ansehen zu müssen, wie diese selbstgefällige Familie glücklich miteinander ist, nicht ertragen. Ich hasse Familien mit einem Jungen und einem Mädchen, wie eine Familie in einer Autoreklame. Das ist so perfekt . Sie sind immer so von sich eingenommen.
Ich spüre, wie der Druck in meinem Kopf gefährlich
Weitere Kostenlose Bücher