Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
nicht neugierig?«, fragte Phillipa.
»Doch, natürlich«, entgegnete Ellen ohne große Begeisterung.
Sie war viel zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt: Da waren das Baby, ihr künftiger Stiefsohn, ihr künftiger Ehemann. Nicht zu vergessen die Exfreundin ihres künftigen Ehemanns. Ellen hatte keine Zeit, sich dem Aufbau einer weiteren Beziehung zu widmen.
»Es eilt ja nicht«, sagte Anne. »Niemand drängt dich.« Sie fasste wieder an ihre Halskette und spielte verträumt mit dem Anhänger, einem Edelstein.
»Hat er sie dir geschenkt?«, fragte Ellen. »Äh … David, meine ich?« Ihre Mutter würde hoffentlich nicht erwarten, dass sie ihn Dad nannte, oder?
Anne ließ ihre Hand sinken. »Ja. Aus Anlass unseres Vierwöchigen.« Sie lief rot an. »Ich weiß, eigentlich sind wir zu alt für so etwas.«
»Ach was«, meinte Phillipa.
Ellens Mutter war eindeutig verliebt, noch dazu in Ellens Vater, so wie es sein sollte. Das war unglaublich, hätte sie aber glücklichstimmen müssen. Ellen fragte sich, warum sie dann so unglücklich darüber war. Sträubte sie sich gegen die Veränderung? Wollte sie die Liebe ihrer Mutter nicht teilen? Sie nahm sich vor, später, sobald sie zu Hause war, darüber nachzudenken.
»Ich freue mich für dich, Mum.« Sie gab sich größte Mühe, damit es sich aufrichtig anhörte.
»Ich will es nicht beschreien, weißt du, noch sind wir ganz am Anfang«, sagte Anne schroff. Doch dann setzte sie erneut ihr sonderbares Lächeln auf und legte ihre Hand auf die von Ellen. »Dein Dad ist der bezauberndste Mann, den ich jemals kennengelernt habe.«
Ich wohne in einer Doppelhaushälfte mit drei Schlafzimmern. Ich konnte Doppelhäuser noch nie leiden, und trotzdem wohne ich jetzt in einem.
Nach der Trennung von Patrick brauchte ich dringend eine Unterkunft, und so bat ich einen Immobilienmakler, den ich kannte, mir etwas Passendes in meiner Preisklasse zur Miete zu suchen. Er fand dieses fade, sterile kleine Haus für mich, in einer Straße, in der dicht an dicht ähnliche Doppelhäuser sowie drei zwanziggeschossige Wohnblöcke stehen. Die Leute, die hier wohnen, sind hart arbeitende Mittelständler. Sie sind die Arbeitsbienen der Gesellschaft auf dem Weg nach oben. In dieser Gegend zählt vor allem der praktische Aspekt. Der Bahnhof ist zu Fuß zu erreichen, und in die Innenstadt sind es nur zehn Minuten. Es gibt Dutzende Restaurants, die nicht besonders gut, aber ausreichend sind, es gibt Reinigungen, die rund um die Uhr geöffnet haben, und Bankautomaten und Taxistände. Wer hier unterwegs ist, hat den Blick auf sein Blackberry gerichtet und in der anderen Hand einen Becher Coffee to go. Das ist kein Ort für Liebespaare. Hier gibt es weder Straßenmusikanten noch Buchhandlungen, weder Galerien noch Kinos. Das ist wunderbar. Man kommt sich vor wie in einem erweiterten Büro.
In der anderen Doppelhaushälfte wohnt ein Mann namens Jeff.Jeff ist klein, glatzköpfig und hat einen gepflegten rötlich blonden Bart. Das Persönlichste, was ich über ihn weiß, ist, dass er kälteunempfindlich ist. Er trägt das ganze Jahr über kurzärmelige Hemden. Wenn er zu Hause ist, höre ich praktisch nichts von ihm durch die Wände, die wir uns teilen – keine Musik, keinen Fernseher. Ein einziges Mal habe ich ihn panisch ausrufen hören: »So macht man das doch nicht!« Was macht man nicht so? Es interessierte mich nicht sonderlich.
Jeff selbst interessiert mich nicht sonderlich. Ich habe nie ein richtiges Gespräch mit ihm geführt oder den Blickkontakt gesucht. Begegnen wir uns zufällig auf dem Weg zum Briefkasten oder beim Weggehen oder Heimkommen, gehen wir schneller, wir rennen beinahe, so als wäre uns plötzlich eingefallen, dass wir schon viel zu spät dran sind. Oder wir starren konzentriert auf einen der Briefe, die wir bekommen haben, und reißen ihn auf, so als ob er von höchster Dringlichkeit wäre. Wir rufen uns zerstreut Bemerkungen zu wie »Heiß heute, nicht wahr?« oder »Kalt heute, nicht wahr?« oder, wenn das Wetter nicht näher zu bestimmen ist, »Wie geht’s?«. Aber wir warten nie auf eine Antwort, weil uns die Antwort egal ist. Manchmal jedoch antworte ich im Stillen: Ich verfolge immer noch meinen Exfreund, trauere um meine tote Mutter und habe unerklärliche Schmerzen im Bein, danke der Nachfrage, und Ihnen?
Ja, für den Bewohner einer Doppelhaushälfte ist Jeff der perfekte Nachbar. Wir haben es geschafft, all die Jahre Tür an Tür zu leben und nach der Post zu
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