Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
Hiob umso schmerzlicher. Sie vertreten eine ordentliche Theologie. Ihre Argumente sind ausgewogen und schlüssig. Alles passt, Zweifel sind ausgeschlossen.
Ich kenne dieses heile Weltbild sehr gut. Es hat meine Kindheit so sonnig gemacht und ein Urvertrauen in Gott bewirkt. Dabei spielten die Kindergottesdienstlieder eine prägende Rolle.
»Breit aus die Flügel beide, o Jesu, meine Freude, und nimm dein Küchlein (Küken) ein. Will Satan mich verschlingen, so lass die Englein singen, dies Kind soll unverletzet sein.« 11
Das klingt goldig. Und auch wenn es wie ein Paradox klingt: Einerseits müsste ich diese naive Theologie heute als untauglich verwerfen, kann aber die gleichen Lieder mit meinen Enkelkindern singen. Natürlich kommt dieses Gottesbild irgendwann in die geistige Pubertät. Und da bleibt oft nicht viel übrig vom Glauben an den lieben Heiland. Aber wenn wir im letzten Lebensdrittel angekommen sind, werden es diese schlichten Lieder aus unserer Kindheit sein, die uns zurück ins Vaterhaus Gottes führen.
Die Beratungsthese der Freunde Hiobs lautet: Gott bestraft die Bösen und belohnt die Guten. Amen! Leid bedeutet demnach immer göttliche Strafe für eine begangene Sünde. So einfach ist das. Die Sündenfahnder zur Zeit von Jesus waren auf dem gleichen Weg: »Herr, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern?« (Johannes 9,2) . Solche Sündenforscher gibt es zu jeder Zeit, heute auch noch. Und schuld sind immer die anderen.
Die Parole der Freunde lautet: »Umkehren und glücklich werden! Hiob, sieh ein, dass du ein neureicher Ausbeuter bist. Werde bescheiden und alles wird gut.« Sie zimmern einen Gott, der für das private Lebensglück der Menschen zuständig ist. Ein moralischer Gott, der die Guten schützt und die Bösen straft.
Die kritisch suchende Beschäftigung mit dem Buch Hiob hat mir eine erste Antwort auf die Frage nach dem Leid gegeben:
Es gibt viel Leid in dieser Welt, ohne dass unmittelbar Schuldige dafür zu finden sind.
Nicht hinter allem Leid in der Welt stehen göttlich-pädagogische Absichten. Müssen wir erst leiden, damit Gott uns endlich kriegt? Das kann der Einzelne so empfinden. Auch ich habe es so erlebt, dass Gott mich durch Krisen fester zu sich gezogen hat.
Aus meiner subjektiven Erfahrung kann ich jedoch noch keine allgemein gültige Erklärung ableiten. Körperlicher Schmerz kann so unerträglich sein, dass Menschen nicht mehr in der Bibel Trost suchen und nicht mehr beten können, geschweige denn in dieser Not Gottes pädagogisches Handeln erkennen.
Aber was ist das für ein Gottesbild? Gott muss doch nicht seine Macht beweisen, indem er einen Menschen in den Dreck wirft, um ihn später, nach absolvierter Gebetsarbeit, wieder auf die Beine zu bringen. Gott bewahre mich vor Freunden, die mir solche Deutungen in der Stunde meines Leidens oder Sterbens nahebringen wollen!
Hiob jedenfalls lässt sich nicht durch das Gesülze der Freunde beeindrucken. Ihre Worte haben nichts ausgerichtet. Im Gegenteil, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes ist jetzt erst recht offen.
Der schwermütige Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal Folgendes geschrieben:
»Hiob! Hiob! Hiob! Sagtest du wirklich nichts anderes als die schönen Worte: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Sagtest du kein Wort mehr? Der Herr gab’s, der Herr nahm’s, der Name des Herrn sei gelobt – weder mehr noch weniger, gerade so, wie man Prosit sagt zu dem, der niest! Nein, du, der du in den Tagen des Glücks das Schwert der Unterdrückten warst… der Stecken der Gebeugten, du ließest die Menschen nicht im Stich, als alles zerbrach – da wurdest du der Mund der Leidenden und der Ruf der Zerschmetterten und der Schrei der Geängsteten … ein unwandelbarer Fürsprecher, der es wagte, zu klagen in der Bitterkeit der Seele und mit Gott zu streiten.
Warum verbirgt man das? Wehe dem, der Witwen und Waisen auffrisst und sie um ihr Erbe betrügt, aber wehe auch dem, der den Trauernden hinterlistig um den vorläufigen Trost der Trauer betrügen will: seinem Herzen Luft zu machen und mit Gott zu hadern. Oder ist vielleicht die Gottesfurcht in unserer Zeit so groß, dass der Trauernde dessen nicht bedarf, was in jenen alten Tagen Brauch war? Wagt man vielleicht nicht mehr, vor Gott zu klagen? … Darum rede du, unvergesslicher Hiob! Wiederhole alles, was du sagtest, gewaltiger Fürsprecher, der du vor dem Richterstuhl des Höchsten erscheinst, unerschrocken
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