Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
Festhaltens an biblisch-ethischen Werten von der Boulevardpresse vorgeführt werden, sind sie zugleich auf dem Weg zu ihrer eigentlichen Bestimmung, nämlich den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu bezeugen.
Wir müssen die unlösbare Frage nach dem Leid in dieser Welt nicht lösen! Gott selbst löst sie nicht. Er erlöst uns aus der Verlegenheit und führt uns in der Krise, »im Angesicht meiner Feinde«, zum »frischen Wasser und erquickt meine Seele«. Das bekannteste Stück der Weltliteratur, der Psalm 23, das Bekenntnis des fast gescheiterten Königs David, ist für unzählige Menschen zur lebensrettenden Dosis Hoffnung in der Krise geworden.
Und wenn nur die Einsicht übrig bleiben sollte, die Sören Kierkegaard wenige Tage vor seinem Zusammenbruch in Kopenhagen notiert hat:
»Nur Menschen, die noch dann, wenn ihr bitteres Schicksal sie zum höchsten Grad von Lebensüberdruss geführt hat, … durch den Beistand der Gnade festhalten können, dass … Gott Liebe sei: nur diese sind reif für die Ewigkeit!« 15
Dass Gott Liebe ist. Wenn ein Lebenskreis sich so schließt, dass die Summe unseres gesunden oder kranken Lebens im Bewusstsein der Liebe Gottes uns reif für die Ewigkeit macht, dann war es ein reiches Leben.
Ich lerne in der Hiobsgeschichte einen Gott kennen, der nicht apathisch das Leiden über die Menschen bringt, sondern das von uns angerichtete und das nicht erklärbare Leid mit uns teilt. Er wird uns sympathisch, das heißt, er leidet mit uns. Sympathie statt Apathie! Er zittert mit uns. Er kämpft mit uns um die Gesundung unseres Leibes und baut uns täglich mit Zuversicht und Hoffnung auf. Der äußere Mensch baut früher oder später ab. Die physische und psychische Degeneration verläuft unaufhaltsam. Aber der innere Mensch wird täglich regeneriert und renoviert, unser Wesen, unser Charakter, unsere Identität reift und bringt Frucht für die uns anvertrauten Menschen.
Das Finale der Hiobsgeschichte ist nicht die fast märchenhafte Feststellung, dass Hiob nach der Prüfung alles doppelt und dreifach wiederbekommt. Das würde eher meine Skepsis gegenüber der literarischen Gestalt dieses Buches nähren. Vorhersagbarer könnte der Schluss nicht ausfallen, und alle Klischees einer Gute-Nacht-Geschichte wären wieder bedient.
Nein, der Höhepunkt des Finales ist das Gebet Hiobs, das Georg Friedrich Händel auf ergreifende Weise in sein Oratorium »Messias« eingefügt hat: »Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!« Dieses Bekenntnis soll einmal auf meinem Grab oder meiner Traueranzeige zu lesen sein. Das reicht. Das kürzeste Credo überhaupt. Ein Glaubensbekenntnis der Kompaktklasse.
Hiob ist nicht auf die alleswissende Frömmigkeit seiner Freunde reingefallen. Er hat ihre leeren Sprüche durchschaut und ist mit Gott im Gespräch geblieben. Manchmal bis hart an die Grenze. Und doch wird ihm bescheinigt: »In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen« (Hiob 2,10).
Gott hat es ausgehalten – und er hält auch uns aus. Die Frage nach dem Leid kommt ohne Jesus nicht aus. Jeder, der über Leid palavert, ohne Jesus zu erwähnen, macht leere Sprüche. Das ganze Buch Hiob schreit nach einem, der Schmerzen wegnimmt. Der Prophet Jesaja hat den Erlöser der Welt so angekündigt: »Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen« (Jesaja 53,4). Mitten in der Verzagtheit eines verunsicherten und verzweifelten Volkes leuchtet eine Perspektive auf. Es soll einer kommen, der unsere Krankheit trägt, einer, der an unserer Maßlosigkeit kaputtgeht und sich für uns festnageln lässt. Der Messias, der Erlöser, der Heiland. Hiob wusste von einem kommenden Erlöser.
Am Buch Hiob verliert man seinen Glauben oder man gewinnt ihn. Ich buchstabiere dieses Buch und finde Heilung und Befreiung darin. Meine Erkrankung im Spiegel der Hiobsgeschichte zu sehen, hieß für mich auch mein Bibelverständnis zu prüfen. Ich habe drei Jahrzehnte versucht, die deprimierende Hiobsgeschichte schönzupredigen, die historische Zuverlässigkeit und Unantastbarkeit zu verteidigen. Ich war geneigt, das zu harmonisieren und zu idealisieren, was ich nicht mit meinem Glauben vereinbaren konnte. Im Verteidigen einer zweifelsfreien Theologie habe ich Boden verloren, den ich im Zuge meiner chronischen Erkrankung mit neuem Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes mühsam wiederentdecke. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen.
So mussten meine vermeintlich »klare« Theologie und
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