Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
entrückt, abgehoben vom ärmlichen Weltbild eines Atheisten, der letztlich so gern glauben können würde?
Die Hiobsgeschichte schüttelt meinen Glauben. Sie testet meine frommen Sprüche auf Echtheit. Und sie entlarvt mein Gottesbild: Glaube ich etwa nur, weil ich Angst vor der Strafe Gottes habe? Bekenne ich meinen Glauben nur, weil ich Angst habe, Jesus Christus würde sich vor dem himmlischen Vater nicht zu mir bekennen? Spende ich nur darum, weil ich hoffe, dass Gott mir alles vielfältig zurückgibt?
Sprüche wie »Gott lässt sich nichts schenken« bleiben uns nach der Hiobsgeschichte im Hals stecken. Das »Alles wird gut!« ist der erbärmliche Singsang einer Volksreligiosität, die Gott zum »lieben Vater überm Sternenzelt« macht und der am Ende dafür sorgt, dass »von irgendwo ein Lichtlein« herkommt.
Selbst das erschütternd prophetische Bekenntnis des Schriftstellers Reinhold Schneider (1903–1958), unter dem bedrückenden Eindruck des unaufhaltsam fortschreitenden NS -Terrors geschrieben, lässt quälende Fragen offen: »Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert über unseren Häuptern aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen.« 13
Nein, menschliches Elend kann so brutal sein, dass es selbst den Betern nicht mehr gelingt, das Schwert über uns aufzuhalten!
Der Theologe Paul Schütz schrieb 1946 an einen Freund, der nicht mehr glauben konnte: »Ich weiß von einer Großstadt, die in wenigen Tagen bis zur Hälfte niederbrannte. Hunderttausende kamen in den Feuerstürmen um. Und danach: die Kirchen waren leerer, die Herzen verstockter … Ich kann den Hauptmann nicht vergessen, ein Mann in den Vierzigern, dem Arme und Beine amputiert werden mussten. Und dem keiner wagte zu sagen, dass seine ganze Familie in K. unter den Trümmern erstickt war. … Zehntausende von ›unter die Räuber gefallene‹ liegen an den Landstraßen. Frauen und Kinder. … Zehntausende und kein ›barmherziger Samariter‹ ist da. Er ist einfach nicht da, weil er selbst unter die Räuber gefallen ist.« 14
Das ist gerade mal 65 Jahre her. Unzähligen ungenannten und unbekannten Betern ist es eben nicht gelungen, die braune Gewalt des Dritten Reiches mit ihren grauenhaften Folgen aufzuhalten. Schlimmer noch, manche Beter haben in dem wahnsinnigen Despoten einen von Gott gesandten Führer gesehen.
Während ich an diesem Kapitel arbeite, tobt in Syrien ein blutiger Kampf, der schon unzählige Opfer gefordert hat. Wie oft stand ich auf den Golanhöhen an der israelisch-syrischen Grenze. Jetzt ist das Elend so nahe, auf Sichtweite der Touristen, nur noch durch ein paar Blauhelme getrennt. Wie soll man das alles erklären?
Gott, wo bist du? Bist du selbst unter die Räuber gefallen?
Alle drei Minuten wird weltweit ein Christ um seines Glaubens willen umgebracht. Im Bewusstsein dieser brutalen Realität misstrauen wir allen schnellen Deutungsversuchen und bekennen schweigend und betend unsere Ratlosigkeit. Nein, ich muss nichts erklären, was einfach nicht erklärbar ist. Ich muss und ich kann die Sache Gottes nicht verteidigen.
So hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Präses Nikolaus Schneider, nach dem frühen Tod seiner an Leukämie erkrankten Tochter in TV -Talkshows erst gar nicht versucht, die Theodizee-Frage theologisch zu lösen. Er hat in bewegender Weise bezeugt, wie seine Familie die Trauer und den Verlust in der Kraft des christlichen Glaubens bewältigen konnte.
Die Frage »Wie kann Gott das zulassen?« ist und bleibt die unlösbare Frage des christlichen Glaubens, die Sollbruchstelle, die ungesicherte Hintertür, durch die jeder Kritiker des Glaubens frech einbrechen darf.
Nicht wir lösen diese unlösbare Frage. Wir müssen vielmehr von der Art, so zu fragen, erlöst werden!
Die Kirche selbst darf sich zu dieser Ratlosigkeit bekennen. Sie muss die frivole und empörte Frage der Medien demütig aushalten. Das macht die Gemeinschaft der Christen angreifbar. Und das schadet nicht! Wann immer sich die Kirche gegen die Provokation der Aufklärung und des neuen Atheismus mit den Methoden der Massenmedien und der Politik wehren wollte, hat sie ihr Alleinstellungsmerkmal riskiert. Wenn die Kirche öffentliche Macht verliert, weil sie die »letzten Fragen« eben nicht überzeugend und schlagend beantworten kann, dann sitzt sie da, wo sie eigentlich hingehört: zwischen den Stühlen, nicht auf dem Thron. Und wenn engagierte Christen wegen ihres
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