Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
Kapitalmärkten diese alttestamentliche Werteordnung beherzigt hätten.
Erst gottvergessen handeln und dann gottvermissend klagen. So sind wir.
10 Piper Verlag, München
18.
Wo war Gott?
Wo war Gott, als sein treuer Freund Hiob, der Prototyp der Freunde Gottes, in solch ein privates und wirtschaftliches Desaster geriet? Er war nicht weg, er war bei Hiob. Er wusste um diesen Test, er hatte dieses Drama mit Satan verabredet. Er war Hiob nie näher als in seiner tiefsten Verzweiflung.
Diese Einsicht deckt sich vollkommen mit meiner Erfahrung in der ersten Depressionsphase, obwohl mein bescheidener Befund kaum mit der Hiobkatastrophe vergleichbar ist. Als alle Lichter ausgingen, war ich im Finstern tastend auf der Suche nach Gott. Nie zuvor war ich ihm näher. Mitten in allen Zweifeln wusste ich, dass Gott die Belastung weise dosiert. Er würde mich nicht überfordern, aber herausfordern zur Bewährung meines Glaubens, Denkens und Handelns.
Und Hiob bleibt standhaft: »Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?« (Hiob 2,10) .
Genau das war eine meiner ersten Reaktionen auf den Befund Parkinson. Warum sollte ich, der ich bisher so unbeschwert und fröhlich gelebt, so viel »Höhensonne« Gottes genossen hatte, nicht auch die andere Qualität des Lebens kennenlernen, nämlich die Tiefe, die Dunkelheit, die Enge und die Schwermut? Es gibt keinen vernünftigen Anspruch auf ein gesundes, erfolgreiches und leichtes Leben.
Ich frage mich, seit ich selbst auf Hiobs Spur geraten bin, warum wir uns das Gute, das Gott uns schenkt, widerspruchslos und oft genug gedankenlos und danklos gefallen lassen, ohne dabei an den Geber der Gaben zu denken? Die Sonnensegnungen Gottes kassieren wir hochnäsig, als hätten wir die tolle Familie, die Fitness und das gute Gehalt selbst verdient. Mein Haus, mein Auto, mein Boot – all diese Segnungen haben uns weithin nicht wirklich in die Nähe Gottes geführt, sondern eher in die Distanz.
Kommt aber mal was quer, irgendetwas, das die Gesundheit, Harmonie und materielle Sicherheit stört – Parkinson zum Beispiel –, schon schreien wir auf und fragen nach, wie Gott denn das zulassen kann.
Nach Auschwitz könne man nicht mehr an Gott glauben, sagen die Leute, die Argumente gegen den christlichen Glauben suchen. Ja, dieses Argument wiegt schwer. Aber Auschwitz wurde von wahnsinnigen Männern des Dritten Reiches angerichtet. Wie bringt man es fertig, diese Tragödie Gott anzuhängen? Warum er es nicht verhindert hat, wird die bohrende Frage unseres Lebens bleiben. Ich kenne keine vermittelbare theologische Argumentation, die diese unerträgliche Spannung auflöst.
Und wie sähe denn eine leidfreie Welt aus? Könnte man alle interviewen, die einen lieben Gott vermissen, was sie sich unter der Liebe Gottes vorstellen, so würde sich ein Wirrwarr an Wunschbildern ergeben – und schon hätten wir eine aufregende Interessenkollision. Harmonie und einen lieben Gott um jeden Preis. Aber was tun, wenn der Nächste ein anderes Glück will als ich?
Mitten in seinem stinkenden Elend bekommt Hiob Besuch von ein paar Freunden. Religiöse Saubermänner. Sie haben jede Menge fromme Sprüche auf Lager. Sie sind Experten im Interpretieren von Leid. Aber zunächst behalten sie ihre Weisheit für sich und teilen eine Woche schweigend Hiobs Leid. Die Männer reagieren vorbildlich: Sie sind empathisch, solidarisch und sie schweigen.
Und Hiob klagt. Er klagt, wie kaum einer von uns je geklagt hat. Er empört sich über das Handeln Gottes: Warum bin ich nicht gleich bei meiner Geburt draufgegangen?
Wir haben es mit einem Gott zu tun, der unsere Empörung aushält, der unser Klagen hört. Es ist eine dumme Volksweisheit: »Lerne leiden, ohne zu klagen.« Wenn man Menschen zum körperlichen Leid auch noch einen seelischen Schaden zufügen möchte, dann appelliere man an sie mit solch heroischen Sprüchen. Die entstammen vielleicht den Heldensagen, aber nicht der Bibel.
Nach Hiobs Klage ist die Stunde der Freunde gekommen. Sie gehen mit ihm um, als hätten sie einen Kurs in Seelsorge absolviert und wollten jetzt eine erste praktische Übung durchführen. Der Philosoph Ernst Bloch hat die Freunde Hiobs »Glaubensspießer« genannt. Das bringt die Mentalität der Freunde auf den Punkt: Spießer! Alle drei handeln nach dem Motto: Gut gemeint und schlecht gemacht! Sie beraten von der Tribüne des Leides her. Sie hocken nicht in der Arena. Darum sind die Worte hohl und für
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