Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
ganz überrascht an.
»Mensch, Alu! Ich denke, du bist drüber weg? Unterschreib den Mist, und lass den Mann einfach in Ruhe! Glaub mir, das tut dir gut!«
»Ich weiß ja. Aber…«
»Mach es einfach, dann musst du dich nicht mehr aufregen!«»Mhm, stimmt wohl. Es gibt wirklich noch genug andere Gründe, sich aufzuregen. Wenn ich nur an meine Station denke und die renitenten Insassen!«
»Sag mal, Alu«, wurde sie von Carsten unterbrochen, »was hast du heute eigentlich Schönes erlebt?«
Alexandra sah ihn hochgradig erstaunt an, man konnte ihr ansehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete.
»Mhm, da muss ich erst einmal überlegen!«
Nach einer kurzen Pause sagte sie erleichtert: »Ich weiß es, ich weiß es! Ich hatte pünktlich Feierabend, bekomme gleich von Carsten etwas Leckeres zu essen, und ich habe mit Erik telefoniert.«
»Wer ist Erik?«, fragte ich erstaunt.
»Ein interessanter Mann aus dem Netz.«
»Kennst du den schon lange? Warum weiß ich nichts davon?«
»Ich hielt es nicht für wichtig, dir davon zu erzählen. Ist doch nur ein Mann für’s Bett. Nichts Gefährliches!«
»Sicher?« Ich war skeptisch. Nach dem Dauertheater mit EQUI schwankte ich zwischen der Sorge, dass sie sich wieder irrational in einer Beziehung mit dem nächsten Falschen verhedderte, und der Freude darüber, dass Alexandra sich von diesem Erik und damit von der Stalkerei ablenken ließ.
»Ja, Tati, ganz sicher!«, beruhigte mich meine Schwester. »Ich habe doch aus meinen Erfahrungen gelernt.«
So richtig glauben konnte ich ihr das nicht. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass sie schlecht behandelt werden wollte, weil sie sonst nichts zu meckern hätte. Je desinteressierter ein Typ ihr gegenüber war, umso mehr kämpfte sie um die angeblich große Liebe. Sie war doch früher nicht so verbissen gewesen, wenn es um Männer ging! Sie war es gewesen, die das Leben nicht so ernst genommen und nur das getan hatte, worauf sie Bock hatte. Sie war niedlich und entspannt, eben plumplorisch. Ganz im Gegensatz zu mir. Mein Anpassungsdrang, mein Anlehnungsbedürfnis und auch die von meiner Mutter kritiklos übernommenen Einstellungen zu Ehe und Familie führten in meinem Leben zu Seiltänzen und Gratwanderungen, die mich aufwühlten und unzufrieden werden ließen.
Jahrelang suchte ich nach dem Glück, welches den Vorstellungen meiner Mutter nahekam. Ich sträubte mich zwar gegen die finanzielle Abhängigkeit von anderen, vor allem von Männern, aber mit der seelischen Abhängigkeit war es eine andere Sache. Früher fiel es gerade mir im privaten Leben schwerer als meiner Schwester, mich in meiner eigenen Empfindungswelt zurechtzufinden. Das schien sich irgendwann in den letzten Jahren umgekehrt zu haben. Während Alexandra immer unsicherer wurde, fühlte ich mich im Laufe der Jahre immer wohler in meiner Haut.
Vielleicht war Alexandra ja auch schon in den Wechseljahren, überlegte ich. Sie ist zwar jünger als ich, aber es konnte ja trotzdem sein. Hatte Doro nicht gesagt, dass sich die Wechseljahre durch Non-stop-PMS bemerkbar machen? Das würde Alexandras permanente Wut und Aufregung erklären. Vor einem halben Jahr war es der Gedanke an EQUI, der meine Schwester zu hysterischen Schimpftiraden veranlasste, jetzt waren es die miserablen Pflegebedingungen, das politische System im Allgemeinen und im Besonderen und Carstens vermeintlicher Schlaganfall.
***
Ich genieße die Ruhe des frühen Oktobertages in meiner Küche bei einer Tasse Kaffee und vermeide jeden Gedanken an schwesterliche Untergangsprophezeiungen und meine Verunsicherung über die Nebenwirkungen von Carstens Schmerzmittel, dessen Packungsbeilage noch auf dem Tisch liegt. Der Rauch meiner Zigarette, den ich in regelmäßigen Zügen auspuste, und Chicas Schnarchen geben der Stille einen beruhigenden Rhythmus. In der Wohnung über mir rührt sich nichts. Kein Trappeln und Stampfen, keine Bässe aus der Musikanlage stören mein morgendliches Schweigeritual. Die vom Neurologen verschriebenen Tropfen müssen Carsten zu einem erholsamen Schaf verholfen haben. Zufrieden puste ich Rauchkringel zur Hängelampe über mir.
Plötzlich poltert es laut an meiner Wohnungstür. Ich stelle unsanft meine Kaffeetasse auf den Tisch, stoße mir beim Aufstehen den Oberschenkel an der Tischkante, Chica springt kreischend vom Sofa, und dann verheddern sich meine Füße im Gürtel meines Bademantels. Noch bevor ich die Tür erreiche, öffnet sie sich, und Carsten steht vor mir: mit
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