Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
einsteinmäßigem Strubbelkopf, leichenblass, mit fast apathischem Gesichtsausdruck.
»Um Gottes willen, Süßer! Was ist passiert?«
Carsten geht schweigend und gebeugt wie ein alter Mann, wobei er den Arm auf dem Kopf abgelegt hat, Richtung Küchensofa. Dann setzt er sich im Zeitlupentempo und starrt mich an. Ich traue mich nicht, irgendetwas zu sagen, und habe das Gefühl, dass meinem kalkweißen Einstein Markerschütterndes widerfahren sein muss.
Nach gefühlten dreißig Minuten sagt er: »Ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne!«
»Nun sag doch endlich, was los ist. Ich werde sonst verrückt vor Angst!«
»Dann wären wir schon zwei!«
Carsten atmet tief durch und berichtet. Er habe, als er morgens seine Küche betrat, ein Holzbrett mit haarfein geschnittenem Salat vorgefunden. Daneben lag eines seiner neuen 132-mal geschliffenen, skalpellscharfen Küchenmesser.
»Wie und wann solltest du das getan haben? Du kannst deine Arme doch gar nicht bewegen, geschweige denn so feinmotorische Arbeiten ausführen?«
Mein im Moment verhinderter Geliebter und Chefkoch kann sich an nichts erinnern. Er muss also im Schlaf von plötzlicher Kochwut überfallen worden sein. Wir schauen uns ratlos an. Mein Blick fällt auf den Beipackzettel des Medikaments.
»Jetzt weiß ich es: Dein Schmerzmedikament ist ein Opioid. Dieses Teufelszeug hat nicht nur angstlösende und euphorisierende Effekte, sondern kann auch zur teilweisen Ausschaltung des Bewusstseins führen!«
Carsten ist entsetzt: »Was da hätte passieren können! Mit einem scharfen Messer!«
Schon wieder ein schneidendes Argument für getrennte Betten, denke ich und hole sein Medikament, um es in den Müll zu werfen. Carsten nickt zustimmend. Ich will verhindern, dass sich mein Nachtkoch noch vor seiner vollständigen Genesung alle Gliedmaßen abschneidet. Er soll doch zur Hochzeit einsatzbereit sein und gut aussehen. Im Moment stiert mein bandscheibengepeinigter und amnesiegeschädigter zukünftiger Ehemann angstvoll und bewegungsunfähig vor sich hin. Weil meine Mama mich anständig erzogen und mir immer gesagt hat, dass sich eine Frau in der Ehe unterordnen, ihren Mann aufopferungsvoll lieben, ihn bekochen, waschen und die Sachen zurechtlegen muss, bereite ich uns ein kleines Frühstück zu. Carsten kaut wehleidig und wenig kommunikationsbereit auf seinem Brötchen herum, als wäre es aus Gummi.
»Ich glaube, es ist nicht gut, wenn du hier so schief rumhockst, Liebling!«, sage ich ziemlich fürsorglich, während ich den Tisch abräume und dann vorsichtig ein paar Krümel von seiner Joggingjacke sammle. Dann hole ich meine Gymnastikmatte, lege eine Decke und Kissen drauf und alles zusammen auf den Küchenfußboden, ungefähr dahin, wo ich Liebling am Abend des Unglücks aufgefunden hatte.
»Leg dich hierher. Das ist besser für deinen Rücken!«
Der Patient gehorcht, ich verwandle ihn wieder in eine Mumie und hoffe, dass ich mich mit meiner Fürsorglichkeit für seine Pflege meines durch Jazzdance malträtierten Hinterns vor ein paar Monaten erkenntlich zeigen kann.
Alle machen Yoga, ich hätte lieber Sex
Ich erinnere mich gern daran, wie lieb sich Carsten vor einem Dreivierteljahr um mich gekümmert hatte, als ich nach meiner vierten oder fünften Schnupperstunde in verschiedenen Dance-Centern, Ballettschulen und Tanzsportvereinen deprimiert nach Hause kam. Ich wollte endlich einen Kurs finden, der zu mir passt. Bisher waren in den vielen von mir getesteten Kursen entweder vor Coolness strotzende Milchgesichter gewesen oder sogenannte »Best Ager«, Angehörige der Silver-Girl-Fraktion, die noch ganz fit aussehen, sich aber wie Faultiere zeitlupenmäßig bewegen. Passgerechtes Training für ein aussortiertes Showgirl wie mich gab es scheinbar nicht. Ich hätte mich besser für die Illusionssportart Nordic Walking anmelden und mich an zwei Stöcken oder mit dem Rollator durch den Park Sanssouci quälen sollen, statt nach einem anstrengenden Tag eine Stunde »Jazzdance für Fortgeschrittene« auszuprobieren. Ich hatte mich von dem Schaufensterfoto des jungen, knackigen Trainers animieren lassen und hoffte auf die beim Sport freigesetzten Endorphine, von denen ich gehört hatte, dass sie jung halten und vor allem die Libido in Schwung bringen sollen.
»Und ans, zwoie, droie! Und ans, zwoie, droie!«, näselte der sexy Vortänzer namens Fernando und schwang dabei Arme und Beine im Takt. »Musst mache und gucke wie die Schpiers, Brigidde!«, rief er fröhlich,
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