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Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Titel: Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Götting
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Willi hindurch zum Strand hinüber. Dort spielt ein älteres Ehepaar in der prallen Mittagshitze Boccia. Sie müssen auch schon länger in Sepiana sein. So braun, wie die sind, können sie sich zumindest keinen Sonnenbrand mehr einfangen.
    Die beiden scheinen Profis zu sein. Werfen elegant aus dem Handgelenk und in hohem Bogen, mit Rückwärtsdrall. Und nach dem Wurf verharren sie in ihrer Position, bis die Kugel gelandet ist. Der Mann trägt khakifarbene Shorts und ein kurzärmeliges Hemd. Ich zucke unweigerlich zusammen. Der Safari-Giftzwerg, dessen Sat-Anlage ich zertrümmert habe! Und das muss seine Gattin sein. Die hat gestern Abend ja noch versucht, ihn und die unglückliche Gesamtsituation zu beruhigen.
    Als alle Kugeln im Sand gelandet sind, zieht er einen Zollstock aus der aufgesetzten Tasche an seinem Oberschenkel, um den Abstand zwischen dem Ziel und seiner Kugel und eben jener seiner Frau auszumessen.
    Ich denke, hoffentlich werden wir nicht auch irgendwann so eine Ehe führen, wenn wir noch öfter auf dem Campingplatz Urlaub machen.
    »Guckt euch mal die beiden Boccia-Profis an. Ich wette, wenn die Frau gewinnt, reist ihr Mann sofort ab.«
    »Der reist leider bestimmt nicht ab«, sagt Rita mit leicht zynischem Unterton. Lena und Willi drehen sich fast synchron um.
    »Der Bürgermeister«, sagt Willi.
    »O mein Gott, ja«, sagt Lena, »den musst du unbedingt kennenlernen.«
    »Hab ich schon.« Ich halte verlegen den Kopf schräg, aber so wie mich alle drei jetzt ansehen, habe ich das Gefühl, da steht »schuldig« auf meiner Stirn. Ich erzähle ihnen, was gestern Abend passiert ist. Dass ich für meine Verhältnisse mannhaft zu meinem Malheur gestanden habe und mich im Prinzip Lena mal wieder in die Scheiße geritten hatte mit ihrem Steinplatten-Auftrag.
    »Das ist nicht wahr«, sagt sie.
    »Äh.«
    »Das ist doch ein Witz, oder?«
    »Nein. Ernsthaft, so was kann doch mal passieren. Aber ich hab ihm sofort angeboten, beim Wiederaufbau zu helfen.«
    Willi muss vor Lachen dermaßen prusten, dass er der Rita fast einen Schluck Bier ins Dekolleté spuckt. Dann sagt er: »Sobald der rausgefunden hat, zu welchem Wohnwagen du gehörst, nimmt er dir die Steinplatten höchstpersönlich wieder ab.«
    »Wieso gibt es hier überhaupt einen Bürgermeister«, frage ich, »und noch dazu einen deutschen?«
    Der Typ, erklärt Willi, ist seit mindestens 15 Jahren Stammgast im Grande Paradiso. Er steht immer auf dem gleichen Platz, und einmal, als ausgerechnet ein Holländer dort stand, hat er aus Protest zwei Tage lang direkt neben der Rezeption geparkt und so lange den armen Massimo genervt, bis der unter fadenscheinigen Gründen dem Holländer einen neuen Platz zugewiesen hat.
    »Das ist ein pensionierter Lehrer, ich glaube, der hat früher mal Erdkunde unterrichtet oder so was«, sagt Willi, »und jetzt geht er hier jedem auf den Keks, der seinen Wohnwagen nicht vorschriftsmäßig aufgestellt hat oder sein Auto wäscht.«
    Wie ich erfahre, kommt der Bürgermeister aus einem Kaff auf der Schwäbischen Alb und heißt Helmut. Aber Helmut darf offenbar nur seine Frau zu ihm sagen. Die Camper-Duz-Regel gilt eigentlich für alle – außer für den Bürgermeister. Den siezt jeder. Vielleicht aus Respekt vor seiner Funktion als Würdenträger. Wahrscheinlich aber eher, weil ihn keiner mag.
    »Also eine Art Blockwart?«, frage ich.
    »Exakt«, sagt Lena, »ich frage mich nur, wie der an so eine junge Frau gekommen ist. Die ist doch locker zwanzig Jahre jünger als er.«
    »Ohne Witz«, sagt Rita, »die hat er als junges Mädchen bei einer Anti-Atomkraft-Demo kennengelernt.« Sie wirkt jetzt regelrecht triumphal. Offenbar ist dies die Sorte Klatsch und Tratsch, die sich die Frauen in der Damentoilette oder an der Gemeinschaftswaschmaschine erzählen.
    Helmuts Gattin wirkt so ausgemergelt wie ein Flüchtling nach drei Wochen im Schlauchboot auf See. Wahrscheinlich ist sie Vegetarierin. Wir sehen ihnen amüsiert und lästernd zu, und auf diesem Weg lerne ich, dass die Dame, die der Bürgermeister erobert hat, nicht nur bedeutend jünger ist, sondern auch eine geradezu kongeniale Partnerin. Susanne, so heißt sie, wird hier von allen nur »Sagrotan-Susi« genannt, weil sie nahezu täglich mit der reizenden Toilettenfrau Rosella in einen Streit über die hygienischen Zustände im Grande Paradiso gerät. Und das, ohne dass diese Rosella auch nur ein Wort Deutsch spricht. Ich bin mir sicher, meine Mutter würde sich prächtig mit

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