Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
auch so einen Strohhut wie Lena kaufen sollen. Ich schwitze wie ein Stahlarbeiter. Auf dem Rückweg werde ich die Stufen zählen. Fakten für die Anklage sammeln.
Zweimal muss ich auf dem Weg zum Supermarkt stehen bleiben und durchschnaufen. Einmal lasse ich mich überschwänglich wie ein altdeutscher Heimatdichter über die phänomenale Aussicht aus, beim zweiten Stopp zünde ich mir umständlich eine Zigarette an. Als wir endlich ankommen, erlebe ich ein Déjà-vu – der Supermarkt sieht im Prinzip genauso aus wie all die Toilettenhäuschen: der gleiche ockerfarbene Anstrich, die gleichen orange-roten Schindeln auf dem Satteldach. Allerdings ist das Ensemble hier zur Abwechslung in U-Form angeordnet, woraus sich eine Art piazza ergibt. An deren Rand die wahrscheinlich letzte Telefonzelle der Telefonino -Nation Italien steht. Die macht allerdings auch Sinn im wahrscheinlich letzten Funkloch Europas.
Vor dem Supermarkt steht, quasi als Hauptattraktion, ein grünes Baldachin-Zelt, unter dem ein paar Dutzend Strandliegen und -stühle aus Plastik lagern. Der Café-del-mar -artige Chill-out-Sound im Inneren des mercato passt ganz vortrefflich zur angenehmen Kühle. Ich liebe Supermärkte im Ausland. Die Farben, die exotischen Produkte. Supermärkte funktionieren wie ein Spiegel der nationalen Seele. Und dieser hier ist wie der Campingplatz selbst: ein Panoptikum. Gasbehälter neben dem Nutella- und Marmeladenregal, Moskitonetze, Autobatterien, Flickzeug für Gummiboote. Kondome direkt neben Hello-Kitty-Spielzeug und Barbiepuppen. Im Kühlregal gibt es außer knallbunten Limonadeflaschen ein Dutzend verschiedene Biersorten, sie haben sogar naturgetreue Warsteiner-Fässchen im Angebot.
Frosta-Fertiggerichte, vorpanierte Schnitzel, Nürnberger Rostbratwürste aus der Produktion von Uli Hoeneß. Dieser Seelenspiegel-Supermarkt erzählt wenig über das Land, aber eine Menge darüber, wie die Italiener ihren deutschen Gästen deren Heimatprodukte kredenzen und sie mit dieser Arschkriechmethode gleichzeitig abzocken. An jedem zweiten Produkt klebt ein rotes offerta -Schildchen, um die Schnäppchenjäger heißzumachen.
Ich stehe vor der Tiefkühltruhe und bin fassungslos. »Hast du das gesehen?«
»Was denn?«
»Die verkaufen Iglo Fischstäbchen. Mitten in einem Fischerort. Wie degeneriert ist das denn?«
»Na und? Die Kinder müssen doch mal was anderes essen außer Pizza, Pasta, Pommes.«
Zumindest verkaufen sie italienische Nudeln und Barilla-Saucen, aber die kennt man ja auch in Deutschland.
Lena ist gerade in eine intensive Konversation mit der Frau an der Wurst- und Brottheke vertieft. Wenn ich das richtig verstehe, reserviert sie gerade irgendetwas.
»Das ist Markus, mein Mann«, sagt Lena auf Italienisch, gefolgt von einer Geschichte über unser erstes Kennenlernen und die Hochzeitsfeier in den Bergen. Die Bäckerin ist ganz entzückt. Im Gegensatz zu unseren Landsleuten, die hinter uns Schlange stehen und unruhig auf der Stelle treten. So wie daheim, bevor sie dann »Ey! Zweite Kasse!« brüllen.
»Prima volta?« , fragt die Bäckersfrau ungläubig. Wirklich das erste Mal in Sepiana? Sie trägt eine gelbe Schürze mit dem Logo des Supermarktes und auf dem Kopf eine Art transparente Duschhaube. Sie streift ihre hygienisch korrekten Plastik-Fäustlinge ab und streckt mir die Hand entgegen: » Piacere. Sono Elisa«, sagt sie, und alles, was folgt, kann ich nur aus der Kombination von Gestik und Wortfetzen deuten. Der Akzent hier wirft mich in meinen Italienisch-Kenntnissen gefühlte drei Jahre zurück.
»Bei Elisa holst du morgen unsere Cornetti ab«, sagt Lena auf dem Weg zur Kasse.
»Backen die hier nur auf Zuruf?« Die Vorstellung, dass man hier seine Semmeln so reserviert wie andere Leute auf Mallorca ihre Sonnenliegen mit einem Handtuch, finde ich bedrückend.
»Nee, aber Camper sind Frühaufsteher. Bis du wach bist, ist hier alles leer gekauft. Und jetzt tu nicht dauernd so, als wäre das alles super spießig.«
»Schon klar. Ihr macht das immer so.«
Die Kassiererin schlägt jeweils zwei Plastiktüten ineinander, bevor sie unseren umfangreichen Einkauf darin einpackt. Ich verfluche Lena schon jetzt, da steuert sie auf den Gemüsestand am Rande der Supermarkt-Piazza zu. Auch der ist – Überraschung! – wie alle befestigten Gebäude im Toilettenhäuschen-Stil gebaut. Hat aber ein grünes Dach. Gemüsestand eben.
Der Stand ist folkloristisch mit langen Knoblauchzöpfen und getrockneten Peperoni
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