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Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Titel: Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Götting
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nicht auch jede Menge Geschwister, die sich alle in den Wohnwagen gequetscht haben?«
    »Exakt, und einer meiner Brüder ist immer darunter gekrochen und hat die Käfer gegessen.« Lenas Augen leuchten. Gute alte Zeit.
    »Wannen-Willi!?«, platzt es aus mir raus. Bei uns im Tennisverein gab es mal einen Typen, den haben sie immer »Gletscherspalten-Willi« genannt, weil er beim Skifahren in Sölden von der Piste abgekommen ist und von der Bergrettung aus einem vier Meter tiefen Krater herausgezogen werden musste. »Versteh das bitte nicht falsch«, sage ich, »aber was muss man getan haben, um sich deinen Spitznamen zu verdienen?«
    »Keine große Sache. Ich bin Installateur. Sanitärbedarf Wilhelm Krawinkel, Bergisch-Gladbach«, sagt Willi. »Gas, Wasser, Scheiße.«
    »Bergisch-Gladbach? Kommt da nicht Heidi Klum her?«
    »Ja sicher. Die ist aber auch nur Scheiße.«
    Wannen-Willi! Auf einem Campingplatz, erklärt Lena jetzt ein wenig langatmig, hat niemand einen Nachnamen. Du bist der Willi aus Köln (in Italien gehört Bergisch-Gladbach dazu) oder die Lena aus München, und wenn es mal mehrere Willis aus Köln gibt, kriegen sie eben ein Attribut verpasst. Das kann ihr Wohnwagen-Modell sein, wenn es ein besonderes ist, ihr Auto oder ganz einfach ihr Job. Wannen-Willi nickt. Mein Schwiegervater zum Beispiel heißt im Grande Paradiso nur »il professore« . Professoren-Peter würde auch zu bescheuert klingen.
    »Hast du nicht letztes Jahr meinem Vater die Toilettenspülung repariert?«
    »Ja sicher«, sagt Willi, und mir fällt zum ersten Mal auf, dass er so ziemlich jede Frage mit »Ja sicher« beantwortet. Wenigstens sagt er nicht: »Sischer dat.«
    »Dein Vater hat damals als Dankeschön einen Ausflug in den Forestra Umbra organisiert. Aber fahren mussten natürlich wir. Hat der immer noch kein Auto?«
    »Natürlich nicht. Und? Hat er Vorträge gehalten?« Ich glaube, bei Lena wird gerade ein altes Trauma getriggert oder wie das heißt.
    »Mädchen, das kann ich dir sagen, stundenlang. Der kennt ja jede Primel da oben. Ich hab nicht mal die Hälfte von dem kapiert, was der da erzählt hat.«
    »Ich kann dir sagen – der kennt auch jedes gottverdammte Insekt und sämtliche Vögel beim Vornamen«, jammert Lena, »ich habe meine halbe Kindheit da oben verschwendet.«
    »Ich dachte, du warst immer am Strand«, sage ich.
    »Wenn’s meinem Vater mit den Jungs zu bunt wurde, hat er mich dorthin verschleppt.«
    Und mit seinem unerschöpflichen Biologen-Wissen gefoltert. Die zivile Variante des Waterboarding.
    Der Forestra Umbra – zu Deutsch Schattenwald – gilt als die ultimative Touristen-Attraktion für Naturfreunde in der Region Gargano. In Wahrheit ist er eher die einzige Sehenswürdigkeit überhaupt, wenn man von halb verfallenen Kirchen absieht, in denen Padre Pio früher mal das WC benutzt hat. Der Forestra Umbra ist jedenfalls nicht nur der größte Laubwald Süditaliens, er ist ein echter Urwald, in dem man ein Drittel aller Pflanzen finden kann, die es in diesem schönen Land gibt. Und fast alle Vogelarten. Es gibt lauschige Picknickplätze und kilometerlange Wanderpfade, die Lena allesamt schon durchstreift hat. Ich muss sagen, das Grundwissen hat sie immer noch verdammt gut parat.
    »Dann lass uns doch diesen Wald mal anschauen. Ist für deine schlimme Wunde eh das Beste. Schatten. Und du kannst ja die Führung übernehmen«, sage ich.
    »Im Leben nicht. Lass mich bloß mit diesem Wald in Ruhe!«
    Ich atme insgeheim durch und zwinkere Willi zu, der die Botschaft sofort verstanden hat: erfolgreich Interesse geheuchelt, Programm abgebogen.
    »Sagt mal«, sagt Willi, »wollt ihr nicht zum Mittagessen zu uns rüberkommen? Meine Frau hat den Kühlschrank voll mit Mozzarella und Tomaten.«
    Und Bier, schätzungsweise. Ich glaube, Willi ist auf Entzug.
    »Na, dann los!« Lena springt auf. Sie fummelt am Wohnwagenschloss rum und kriegt einfach den Schlüssel nicht gedreht.
    »Lass doch offen«, sage ich.
    »Spinnst du? Wir sind in Italien!«
    Um ehrlich zu sein, fühlt sich das auf dem Campingplatz nicht wirklich so an. Gut, dass sie mich daran erinnert. »Lass mich mal, das muss man mit ordentlich Kraft machen.« Ebenso entschlossen wie tatkräftig nehme ich ihr den Schlüssel aus der Hand.
    »Vorsicht!«, sagt Lena ungewohnt heftig, »wenn der Schlüssel abbricht, sind wir total am Arsch. Wir haben nur den einen.«
    »Okay«, gebe ich klein bei und ihr den Schlüssel zurück. »Dann drück ich gegen die Tür,

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