Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
dass er immer »Danza Kuduro« singt. Ich hatte das Lied während der Fahrt schon mindestens viermal im italienischen Radio gehört und beim Refrain immer »Vaffanculo« verstanden, was mit »Leck mich am Arsch« noch recht freundlich übersetzt wäre.
Lena hatte mir das Grande Paradiso als einen der ruhigsten Orte der Welt beschrieben – am Wohnwagen abhängen, in der Sonne liegen, jeden Tag ein neues Buch lesen. Ab und zu ein Hüpfer ins Meer und abends ein paar Gläschen Gavi oder Barolo. So würde selbst ich mir einen Campingplatz gefallen lassen. Ich muss im Urlaub nicht unbedingt in exotischen Ländern auf Entdeckungsreise gehen. Das mache ich schon beruflich, wenn auch nicht immer in den touristisch reizvollsten Gegenden.
Als ich mir Frau Drill-Instructor und den sie flankierenden DJ in seinem neonorangen T-Shirt so ansehe, kann ich mir das mit der Ruhe nicht so recht vorstellen. Er hat jetzt ein Lied aufgelegt, bei dem die Acqua-Gymnasten eine Hampelmann-Bewegung machen und im Takt klatschen. Sie lassen sich auch nicht davon beirren, dass ein paar Strandspaziergänger unerschüttert zwischen ihnen und der Vorturnerin durchlatschen. Was die Bademoden betrifft, erfreut sich der Slip unter den Herren übrigens immer noch überraschender Beliebtheit.
»Was glaubst du, warum die dicksten Männer immer die knappsten Badehosen tragen?«, frage ich Lena, die bei meiner Rückkehr zum Wohnwagen mit der neuesten Ausgabe der italienischen Grazia unter dem Sonnensegel im Liegestuhl fläzt. An den Strand darf sie ja vor Einbruch der Dunkelheit nicht.
»Vielleicht, weil sich Männer nur alle vier Jahre eine neue Badehose zulegen, ihre Bäuche aber viel schneller wachsen.«
Ich sehe an mir herunter. Ob das auch auf mich zutrifft? Sie sind alt, aber immerhin trage ich zum Schwimmen großzügig geschnittene Shorts, die den halben Oberschenkel bedecken. Ansonsten hat Lena wohl recht. Und wie aufs Stichwort kommt plötzlich der Willi um die Ecke unseres Vorzelts gebogen. In Sandalen, Badehosenslip, Flieger-Sonnenbrille mit Goldrand und einem Trägershirt, auf dem »Hopfen und Malz – rein in den Hals« steht. »Tachchen«, sagt er.
Daran muss man sich auch erst mal gewöhnen: dass auf einem Campingplatz unvermittelt der Besuch direkt im Wohnzimmer steht. Anklopfen wäre allerdings auch schwierig. Andererseits denke ich: Wenn sie um ihre mobilen Schrebergärten schon Gartenzäune ziehen, können die dann nicht auch gleich eine Art Türklingel erfinden? In ihrem Einfallsreichtum, so viel wusste ich schon, kennen richtige Camper noch weniger Grenzen als diese verrückten Genies, die in nächtlichen Teleshopping-Sendungen ihre erstaunlichen Entwicklungen verhökern. Vielleicht sollten wir fürs Erste eine Kuhglocke organisieren und aufhängen.
»Wollte nur mal seh’n, ob noch alles steht.«
Das ist in der Tat eine absolut legitime Frage. Dass ich den Waschbeckenabfluss in der Nasszelle verstopft habe, indem ich die Reste der Bolognese-Sauce wohl nicht ganz fachgerecht entsorgte, habe ich Lena vorläufig noch nicht gebeichtet. Ich wollte mich in einem unbeobachteten Moment um eine Problemlösung kümmern.
»Willi, setz dich doch«, ich umarme ihn, als wäre er ein alter Freund, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe.
»Wie geht’s denn der Patientin?«
»Ich habe einen Schädel, als wäre ich unter den Strandpflug geraten«, sagt Lena. »Magst du einen Kaffee?«
»Nee, lass mal, das geht mir zu dolle auf die Pumpe. Da muss man aufpassen in meinem Alter.« Er schaut ins Vorzelt, in dessen Mitte der von mir auf die Steinplatte gewuchtete Kühlschrank thront. »Habt ihr’n Bier?«
Na klar, ist ja auch gleich zwölf. Wenn ich mir unseren Freund Willi so anschaue, ist er vermutlich genau die Sorte Typ, die Lena immer einen »Genussmenschen« nennt: Er isst gern und ausgiebig und trinkt gerade so viel, dass er kein Fall für die Anonymen Alkoholiker wird. Mein Schwiegervater ist ein Genussmensch, meine Schwiegermutter, und zumindest nach Lenas Maßstäben bin ich auch einer. So habe ich mich für diese Ehe qualifiziert.
Willi gibt sich auch mit einem lauwarmen Wasser zufrieden. Mehr haben wir einstweilen nicht auf der Karte.
»Sag mal, kann es sein, dass wir uns von früher kennen. Wie lang fahrt ihr denn schon hierher?«, fragt Lena, nachdem sie sein Wasser eingegossen hat.
»Ja sicher. Wannen-Willi, weißt du nicht mehr? Ich kannte dich schon, da warst du kaum größer als das Mäuerchen da vorn. Hattest du
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