Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
vor und flüstert mir ins Ohr: »Scusa. Fa male?« Er macht eine Kunstpause: »A proposito – sono Seppi. La sepia.«
Der Tintenfisch trägt diesmal also ein Gattuso-Kostüm. An den Armen hat er noch mehr Tattoos als der legendäre Nationalspieler Marco Materazzi. Und ich denke, es ist besser, mich nicht noch mal mit ihm anzulegen.
Unser Bürgermeister hatte recht: Die Italiener spielen jetzt vogelwild nach vorn. Jeder von ihnen stürzt sich in aussichtslose Dribblings, sie schießen aus allen Lagen, ganz gleich wie spitz der Winkel oder wie groß die Entfernung. Nachdem einer der vielen Tottis den Ball mindestens zwei Meter über das Tor gebolzt hat, statt ihn auf einen völlig frei stehenden Del Piero zu spielen, brüllen die beiden sich hitzköpfig an. Ein Streit, der sofort wie ein Lauffeuer auf das gesamte Team übergreift.
In der Folge scheint den Italienern vor lauter Zwist die Lust am Spiel vergangen zu sein. Jedenfalls greifen sie uns auf unserem Weg zum gegnerischen Tor nur noch halbherzig an. Ingo legt den Ball schön quer auf den heranbrausenden Herbert, wobei heranbrausen vielleicht nicht exakt das richtige Wort ist bei Herbert. Jedenfalls setzt der einen sehenswerten Schuss ins linke untere Eck. Und Fabio hat sich bei seiner vergeblichen Rettungstat auch noch die Frisur ruiniert.
Bei den Italienern gibt es in ihrem Gezänk inzwischen überhaupt kein Halten mehr. Sie gestikulieren, keifen, toben, wüten. Ingo und ich spielen einen dieser Doppelpässe, wie wir sie im Training ohne Gegner geübt haben. Und im Prinzip spielen wir ja jetzt auch wieder ohne Gegner, weil niemand mehr die Verfolgung aufnimmt. Ich laufe völlig allein auf Fabio zu, und es ist wie bei diesen Ritterspielen, wenn zwei Reiter mit Lanzen aufeinander losgehen. Ich verlangsame meinen Lauf und überlege, ob ich Fabio vielleicht mit einem coolen Übersteiger umkurven soll, entschließe mich dann aber dafür, ihn zu tunneln. Das ist die ultimative Demütigung. Noch drei Meter ungefähr, ich sehe, wie seine Augen nervös flackern. Und ziehe ab.
Dummerweise habe ich den Schuss wohl etwas zu hoch angesetzt. Er trifft Fabio mit voller Wucht zentral an seinem empfindlichsten und wahrscheinlich meist genutzten Körperteil.
Fabio sackt zeitlupenartig zusammen. Wie eine Leiche im Winnetou-Film. Er liegt auf dem Boden und windet sich und hat seine Hände genau dort, wo er sie sonst auch immer hat. Nur diesmal aus gutem Grund. Sein Hundegewinsel geht jetzt in das Gejaule einer Katze über.
Die Zuschauer pfeifen und buhen mich aus, sie strecken mir den Mittelfinger entgegen, und »Vaffanculo« ist noch eines der höflicheren Dinge, die sie brüllen. Fabio liegt immer noch zusammengekrümmt im Staub des Strafraums. Inzwischen stöhnt und röchelt er, und ich frage mich, ob das jetzt auf eine Verbesserung seines Zustandes hindeutet.
»Wow, voll auf die Zwölf«, sagt Willi, »Respekt!«
»So geht’s auch«, meint Ingo.
Das Publikum tobt. Gott sei Dank spielt Luigi selbst mit und hat seinen Gemüsestand geschlossen. So muss ich wenigstens nicht befürchten, dass sie mich auch noch mit Tomaten und Eiern bewerfen. Ich gehe in die Knie, beuge mich zu Fabio hinunter und tätschele ihm freundschaftlich die Schulter. »Hey Alter, tut mir wirklich total leid«, sage ich, »wird’s denn wieder gehen?«
Von Fabio keine Antwort. Er ist im Moment in der Hyperventilationsphase.
Seine Mannschaftskollegen haben inzwischen auch das Streiten unterbrochen, die meisten stehen etwas ratlos herum, einer hat sich erst mal eine Zigarette angesteckt. Nach einer Weile tragen sie den schmerzverzerrten Fabio zu dritt vom Platz. Deutsche und Italiener schlurfen betreten hinterher. Wie bei einer Prozession.
Einer von den Zuschauern hat sein Auto geholt, einen großen schwarzen Van, auf dessen Rückbank sie Fabio jetzt legen wie auf eine Bahre im Krankenwagen. »Wir fahren ihn erst mal hoch zu Dr. Cevani«, sagt Luigi. Lena und ich schauen durchs geöffnete Seitenfenster. Fabio richtet sich mit letzter Kraft auf. »Leeeeena«, stöhnt er laut. Etwa so wie Silvester Stallone, als er am Ende des ersten »Rocky« nach seiner Adrian gerufen hat. Das Spiel ist aus.
»Du bist so ein unfassbares Arschloch!«
Lena ist immer noch außer sich, als wir wieder an unserem Wohnwagen ankommen. Der hat inzwischen übrigens auch wieder ein funktionierendes Schloss. Aber das macht die Situation im Moment auch nicht besser.
Das Spiel ist erst gar nicht wieder angepfiffen worden.
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