Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
dabei Luft zu holen. Dass er das konsequent auf Italienisch macht, reduziert die Demütigung zumindest ein wenig.
Jeden Abend haben wir uns in den vergangenen Tagen unter dem Flutlicht versammelt, um Passfolgen einzustudieren. Wir haben Eckbälle und Freistöße geübt. Das alles natürlich in einem eher gemächlichen Modus und ohne Einwirken eines Gegenspielers. Der Praxistest fällt nun etwas ernüchternd aus. Ingo, der Mann ohne Samenstränge, war der mit Abstand begabteste Kicker unter uns – was allerdings nur bedingt etwas über seine fußballerischen Qualitäten aussagt. Ingo hat während seines Studiums in der Feldhockey-Bundesliga gespielt, ein harter Bursche also, der im Prinzip auch mit dem Ball umgehen kann. Wie sich nun herausstellt, allerdings dann am besten, wenn er draufhauen darf.
Vielleicht war es auch keine so gute Idee, das Spiel am späten Vormittag auszutragen. Mir rinnt der Schweiß sturzbachartig von der Stirn. Und ich ringe um Luft. Die Regel mit dem fliegenden Wechsel kommt den meisten in unserer Mannschaft sehr entgegen. Nach zwei, drei Minuten rennen sie mit letzter Kraft vom Feld, klatschen den Mitspieler ab und stehen keuchend am Spielfeldrand. Wie sich jetzt außerdem herausstellt, ist dies für unsere italienischen Freunde eine offenbar sehr verwirrende Taktik, weil sie sich permanent mit einem neuen Gegenspieler konfrontiert sehen.
Nach etwas mehr als zehn Minuten sind wir allerdings dem gegnerischen Angriffswirbel nicht mehr gewachsen, und Willi ist das erste Mal geschlagen. Luigi, der Gemüsehändler, hat mir den Ball hinterlistig durch die Beine geschoben, dann ließ er Herbert lässig mit einer Köpertäuschung aussteigen und lief anschließend allein auf unseren Kasten zu. Kaum zappelt der Ball im Netz, dreht Luigi mit weit ausgebreiteten Armen ab, er läuft über den halben Platz und imitiert den Flügelschlag eines Raubvogels. Der DJ spielt »Azzurro« von Adriano Celentano, und draußen liegen sich die Italiener lachend in den Armen.
Ercole hat schon vor Spielbeginn damit angefangen, Prosecco an die Zuschauerinnen zu verteilen. Jetzt schenkt er allen ordentlich nach.
Wir antworten mit wütenden Gegenangriffen, und ich versuche es mit einem tückischen Aufsetzer aus einiger Entfernung, den Fabio allerdings unter hämischem Grinsen locker abfängt. Ich habe geackert und gerackert, war vorne, hinten, links und rechts. Nach einer Viertelstunde geht auch mir die Puste aus, und ich lasse mich für eine Zigarettenlänge auswechseln.
Von draußen muss ich miterleben, wie unser Abwehrbollwerk nun vollends zerbröselt. Noch zweimal muss der bedauernswerte Willi hinter sich greifen, und seiner Gestik entnehme ich, dass er sich von seinen Vorderleuten schmählich im Stich gelassen fühlt. Ich löse Horst ab, der schon knallrot ist im Gesicht, und stürme zurück aufs Feld. Und wenig später verschont uns der Halbzeitpfiff vorläufig von weiteren Erniedrigungen.
»In Ordnung, Männer, wir haben uns tapfer geschlagen«, schreit der Bürgermeister bei seiner Halbzeitansprache so laut, dass man ihn auch jenseits des Fangzauns hören kann. »In der zweiten Halbzeit greifen wir sie noch mal so richtig an. Das sind Italiener, von denen wird jetzt jeder wie bescheuert nach vorne rennen, um auch ein Tor zu schießen. Das müssen wir ausnutzen.« Er brüllt: »Wir kontern sie eiskalt aus!«
Ich habe mir ein Handtuch umgehängt und schütte ein wenig eiskaltes Wasser aus der Flasche über meinen Kopf. Lena kommt mit ihrem Prosecco-Glas zu mir an den Zaun: »Willst du einen Schluck? Ist gut für den Kreislauf.«
»Warte ab«, sage ich, »denen werden wir’s noch zeigen.«
»Na klar«, sagt Lena grinsend und gesellt sich wieder zu den anderen Spielerfrauen und Ercole.
Drüben, im Kreise der Italiener, sehe ich, wie Fabio sein iPhone gezückt hat, um sich vor dessen spiegelnden Display die Frisur wieder zu richten. Dabei war er der Einzige, der sich auf dem Platz so gut wie gar nicht bewegen musste.
Die Pause und das Wasser haben mir gutgetan, und direkt nach Wiederanpfiff erobern wir den Ball. Ingo spielt einen schönen Pass in meinen Lauf, der Kerl im Gattuso-Trikot stürmt von der Seite auf mich zu und streckt mich mit einem harten Tritt gegen mein Schienbein nieder. Der Schmerz treibt mir Tränen in die Augen. Als ich die Socke runterrolle, sehe ich, dass die Haut übel abgeschürft ist. Mein Gegner sieht die gelbe Karte, dann reicht er mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Er beugt sich
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