Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Seite der Mittellinie. Sie alle tragen hautenge Italien-Trikots. Wahrscheinlich haben sie die alle bewusst eine Nummer zu klein gekauft, damit sich ihre Bauch- und Bizepsmuskeln noch deutlicher unter dem Stoff abzeichnen. Schönlinge mit glänzend schwarzen Gelhaaren, einige von ihnen tragen sogar Haarreifen, wie das in Italien eben so üblich ist
Wann immer ich zuletzt in der Zona Saturno vorbeikam, sah ich diese Leute feist essen und Wein trinken. Egal zu welcher Tageszeit. Und womöglich ist das unsere einzige Chance: dass sich diese Jungs hier in den vergangenen Tagen einen bedenklichen Cholesterinwert angefressen haben, der sich spätestens in der zweiten Halbzeit mit Schnappatmung bemerkbar machen wird.
Ercole hat von der Terrasse seine Alustühle als Tribüne herbeigeschafft. Lena steht mit Rita, Ute und Inge hinter dem Zaun und zwinkert mir zu. Ich zeige den Schumi-Daumen und lockere schon mal die Beine.
Wir sind auf den Punkt vorbereitet. Keine Frage. Der Bürgermeister hat uns gleich nach meinem Besuch zu einigen Trainingseinheiten zusammengezogen. Noch vor dem Frühstück versammelten wir uns jeden Morgen am Strand, liefen ihn in voller Länge je zweimal auf, zweimal ab – zum Aufwärmen. Die Bucht, das habe ich bei der Gelegenheit mit der phantastischen Jogging-App meines Smartphones ausgemessen, ist übrigens genau 550 Meter lang. Der Bürgermeister stand mit der Trillerpfeife und seinem Rommel-Outfit auf Höhe der Strandbar, freilich ohne sich zu sehr zu verausgaben. Wir absolvierten ein paar Übungen, die Helmut, wie wir ihn schon nach zwei Tagen nennen durften, bei der Acqua-Gym abgeschaut hatte. Anschließend Steigerungsläufe, Stretching, lockeres Austraben.
Wenn ich uns so anschaue, wie wir jetzt auf dem Platz stehen, dann kam der Aufbau der Grundphysis womöglich ein paar Tage zu spät.
Massimo hat sich eine grellgelbe Schiedsrichterkluft übergeworfen, er ist natürlich qua Amt prädestiniert dazu, den Unparteiischen zu geben. Denn wenn er es sich mit seinen Landsleuten verscherzt, werden sie ihn aus dem Dorf verjagen. Benachteiligt er uns, ist er innerhalb kürzester Zeit seine Stammgäste los.
Auf dem Rücken der italienischen Trikots stehen ebenfalls Namen, allerdings die ihrer größten wirklichen Fußballstars. Zwei Inzaghis, drei Del Pieros, viermal Totti. Wir stellen uns vor dem Anpfiff in einem Kreis zusammen, legen einander die Arme auf die Schultern und beugen uns hinunter. »Sie haben nur Stürmer auf dem Feld!«, brülle ich als letzte Anfeuerung in unseren Kreis. »Das müssen wir ausnutzen!«
Okay, ich habe verschwiegen, dass auch ein Gattuso dabei ist. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dessen Nähe unbedingt meiden sollte.
Willi zieht sich ins Tor zurück. Er war früher mal Keeper in der ersten Mannschaft von Fortuna Köln, das war allerdings kurz nach Einführung der Bundesliga. Und was die Geschmeidigkeit seiner Reflexe angeht, hat die Zeit ganz sicher nicht für ihn gearbeitet. Wenigstens sind die Tore nicht viel größer als beim Handball, und in Anbetracht seiner enormen Leibesfülle müssen die Italiener da schon verdammt präzise schießen, wenn sie zum Erfolg kommen wollen.
Massimo pfeift das Spiel an. Ich passe erst mal zurück auf Herbert, den Ball sichern. Er läuft ein paar Meter die rechte Außenbahn hinunter, und als er von einem der Italiener attackiert wird, spielt er wieder nach hinten zur Mittellinie. Wir lassen den Ball in der eigenen Hälfte im Louis-van-Gaal-Stil zirkulieren – das Spiel beruhigen und den Gegner aus der Defensive locken. Das geht auch eine ganze Weile gut. So ungefähr dreißig Sekunden. Dann grätscht Gattuso dazwischen.
Die Italiener sind verdammt flink auf den Beinen, haben aber die körperliche Robustheit ihrer deutschen Gäste unterschätzt. Einer der Inzaghis sinkt jedenfalls jammernd im Mittelfeld nieder, nachdem ihn Horst mit einem gekonnten Schulter-Check in seinem Dribbling gestoppt hat. Inzaghi wälzt sich noch ein paar Sekunden theatralisch auf dem Boden, bis Massimo Freistoß pfeift.
Trotz unserer technischen Unterlegenheit halten wir uns einstweilen gut. Zumindest halten wir das Unentschieden. Willi entschärft die ein oder andere prekäre Situation durch vorausschauendes Herauslaufen und mit zwei wirklich glänzenden Paraden. Unsere eigenen Offensivbemühungen verstümpern wir allerdings zumeist schon im Ansatz, was uns höhnische Bemerkungen des DJs einträgt, der das Match per Mikrophon kommentiert, ohne
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