Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
im Herbst. Und sein Vater zieht dann alle paar Stunden prall gefüllte Netze aus dem Wasser. So viel Fisch, dass sie ihn gar nicht auf dem Markt verkaufen oder einfrieren können.
»Und was macht ihr dann damit?«, frage ich.
»Vor ein paar Monaten habe ich den Kinderarzt mit zwei großen Doraden bezahlt«, sagt Matteo. »Das ist Sepiana.«
Er schnipst seine Kippe runter ins Meer und springt auf. » Ragazzi , es ist Zeit für das Dessert.«
Wir setzen uns wieder an unseren windschiefen Holztisch. Mitternacht ist schon lang vorbei, fast alle Gäste sind schon zurück zum Campingplatz gegangen oder mit ihren Autos über den holprigen Feldweg heimgehoppelt. Und ich hatte kurz ein schlechtes Gewissen, unsere Wohnwagen-Babysitter zu überfordern. Aber wirklich nur kurz.
Matteos Neffen, die in den Semesterferien immer hier oben arbeiten, klappern mit den Tellern und Gläsern, als sie die Tische abräumen. Das Licht wird ein wenig gedimmt, und Matteo kommt mit einem großen weißen Porzellanteller auf uns zu. Darauf ein Tiramisu in Herzform, mit einer brennenden Kerze in der Mitte.
Ich spüre die Endorphine in meinem Körper tanzen, und zum ersten Mal seit knapp zwei Wochen steigt in mir ganz sachte ein Gefühl der Überlegenheit auf. »Glaubst du wirklich, dass der Tisch zufällig frei war?«
»Das haben die alles für dich organisiert?«, fragt Lena. Sie hält den Kopf schief und schaut mich verliebt an, ihre Stimme wird ganz samtig: »Du bist angekommen, oder?«
Dodici
Es ist ein Auswärtsspiel, keine Frage. Aus dem Dorf sind ein paar Dutzend Schaulustige ins Grande Paradiso hochgekommen und werfen uns spöttische Blicke zu, als wir an der Mittellinie Aufstellung nehmen. Der DJ hat sein Equipment, mit dem er sonst den Strand beschallt, zum Fußballplatz herübergetragen, und jetzt erklingt tatsächlich das Deutschlandlied, wenn auch reichlich quäkend. Dass dazu die Flaggen im leichten Wind wehen, versteht sich auf einem Campingplatz von selbst.
Der Bürgermeister hat vor zwei Tagen einen Stoß DIN-A4-Handzettel mit dem Text der Nationalhymne an uns verteilt. »Bis morgen habt ihr das drauf«, sagte er. Und vor dem Abschlusstraining nahm er dann tatsächlich so eine Art Chorprobe ab.
Jeder von uns trägt ein strahlend weißes T-Shirt, das die Sagrotan-Susi in den zurückliegenden Tagen liebevoll mit einem arg zerrupft aussehenden Bundesadler bemalt hat. Sie hatte zuvor extra eine Schablone angefertigt. Und auf den Rücken der Shirts hat sie in Schönschrift die Vornamen der Spieler geschrieben. »Haltung«, befiehlt der Bürgermeister, als die ersten Takte unserer Hymne laufen. Und Haltung bedeutet bei den meisten in unserer Mannschaft, dass sie ihre mächtigen Bäuche in Richtung Adria strecken.
Das Fußballfeld liegt gleich hinter den beiden Tennisplätzen und ist von einem gut dreieinhalb Meter hohen Zaun umgeben. Obendrüber haben sie noch ein Netz gespannt, damit der Ball bei verunglückten Schüssen nicht noch ein vorbeifahrendes Auto trifft. Immerhin spielen wir auf Rasen, wenngleich sie dem hiesigen Grün nicht ganz die Pflege angedeihen lassen wie der Wiese vor dem Pico Bello. Die Strafräume sind so groß wie ein Handballkreis, und dort wächst kein einziger Grashalm mehr. Dadurch erinnern die Sechzehner irgendwie an einen Bolzplatz in Äthiopien.
Man sagt ja, dass schlechte Platzverhältnisse eher der technisch unterlegenen Mannschaft entgegenkommen. Und die sind eindeutig wir. Insofern gibt es also keinen Grund zur Klage.
Nach den etwas einseitigen Begegnungen der letzten Jahre haben die Italiener diesmal großzügig darauf verzichtet, die Dorfjugend abzustellen. Wenn man von Fabio einmal absieht, der allen Ernstes so ein Gigi-Buffon-Trikot trägt. So rosa wie die Gazzetta dello Sport .
In den letzten Tagen sind Scharen von italienischen Touristen im Grande Paradiso angekommen. Sie nutzen irgendeinen Feiertag für ein langes Wochenende, und es ist genauso, wie Lena mir das vorher beschrieben hat. Sie siedeln sich in der Zona Saturno an, stellen ihre Wohnwagen, Reisemobile und Autos in U-Form zusammen, und in der Mitte wird eine lange Tafel aufgereiht, an der die gesamte Familie Platz findet. Von der Oma über Tanten, Onkel, Cousins bis hin zu den Enkeln. Und wenn mich nicht alles täuscht, verlassen sie diesen Tisch allenfalls für ein Mittagsschläfchen, einen kurzen Strandspaziergang oder einen kleinen Hüpfer ins Meer.
Die sportlichsten dieser Cousins und Enkel stehen jetzt auf der anderen
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