Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
förmlich. Seine Hand fängt an zu zittern, und er rennt, ohne auch nur ein Wort zu sagen, zum Wasser hinunter. Er rennt, wie ich ihn nicht mal beim Fußballtraining habe rennen sehen. Helmut und Susi, Lena und ich – wir alle hinterher.
Ute und Rita heulen wie kleine Mädchen. Herbert grinst nur scheel. »Siehst du, habe ich doch gesagt, dass wir ihn hier treffen würden.« Er klatscht mich mit einem High-Five ab, was mir in diesem Augenblick nicht mal total bescheuert vorkommt.
Während wir wieder zu Willis Wohnwagen-Ruine zurückgehen, erzählt Rita unter Tränen, wie sie am Tag zuvor rüber in die nächste Bucht gewatet sind. Und als sie sich schon in Sicherheit wähnten, ist das Feuer plötzlich wie eine Lawine über den Hügel gezogen. Und sie sind zurück ins Meer gerannt, wo sie dann ein Fischer auf sein Boot genommen hat. Auf einem Campingpatz ein paar Kilometer vor Vieste hat er sie abgesetzt.
»Das ist übrigens Klaus«, stellt Herbert den Mann mit dem Motorboot vor. Er hat ihnen in der letzten Nacht Obdach in seinem Vorzelt gewährt. Horst und Inge sind dort geblieben.
»Camper-Solidarität«, sagt Klaus. Ich denke, den Spruch habe ich schon mal gehört. Und ich muss sofort an meinen ersten Tag hier denken, als dieser Platz wirklich noch ein großes Paradies war. Auch wenn er mir zunächst vorkam wie die Hölle.
»Warum bist du nicht an dein Handy gegangen?«, fragt Willi die Rita, während er sie fest in seinen Arm schließt.
»Ich hatte es im Wohnwagen vergessen. Das ist wohl jetzt verbrannt. Was ist denn mit deinem? Du bist auch nicht rangegangen.«
»Kaputt.«
Herbert erzählt, dass sie schon gestern Abend beschlossen haben, einfach so lange auf dem Campingplatz zu warten, bis Willi aufkreuzen würde. Sie hatten schließlich auch keine Nummer von uns.
»Hast du noch eine Zigarette?«, fragt Willi. Rita guckt ihn an, als hätte er einen Besuch im Swingerclub vorgeschlagen.
Er zündet sich eine an, dann verschwindet er hinter dem halb verfallenen Bungalow. Ich glaube, er will einfach nicht, dass wir sehen, wie er weint.
»Sieh doch mal«, sagt Lena, »ich glaube, das Pico Bello steht noch.«
Sie nimmt meine Hand und zieht mich weg von Willi und den anderen. »Das ist doch alles Wahnsinn«, sagt sie im Gehen.
»Was meinst du? Dass Willi und Rita einander wiedergefunden haben? Das war doch nur eine Frage der Zeit.«
»Nein, ich meine wirklich alles.«
In der Tat ist es ein Wahnsinn, dass das Pico Bello noch steht. Ich nehme mal an, dass der Felssporn wie eine Brandschutzmauer gewirkt hat. Die Feuerwalze muss links und rechts am Restaurant vorbeigedonnert sein, aber Ercoles Laden hat nichts, wirklich gar nichts abgekriegt.
»Der arme Helmut«, sage ich. Sein Wohnmobil war das letzte in der ersten Reihe der Zona Dragone. »Guck doch mal, da fehlen gerade mal ein paar Meter, und sein Wagen wäre auch unversehrt geblieben.«
Wir gehen an dem Spielplatz vor dem Restaurant vorbei auf die Terrasse. »Ercole?«, rufe ich. Niemand zu sehen. »Tanja?« Keine Antwort.
Die Tür ist verschlossen. »Der Kerl verblüfft mich immer wieder«, sage ich, »da fackelt der ganze Campingplatz ab, und der hat nichts Besseres zu tun, als seinen Laden abzusperren.«
»Als Italiener lernst du, niemals einem Italiener zu trauen. Der weiß genau, dass die Leute alles leer geplündert hätten.«
Ich lege meinen Arm um Lena: »Du hast recht – das ist Wahnsinn. Alles.«
Wir gehen hinunter zum Strand, das Bagnino-Häuschen steht auch noch da wie eine Eins. Freddie wird’s freuen.
Als wir im Wasser stehen, machen wir uns irgendwie unbewusst auf zu unserem letzten Strandspaziergang Richtung Grotte. Die Gerippe der Autos und Wohnwagen – von hier aus sieht das Grande Paradiso aus wie ein Elefantenfriedhof.
Wir stehen auf Höhe unseres Stellplatzes im Meer, die sanften Wellen umspülen unsere Knöchel. Ich schaue fassungslos auf das Desaster. Paradise lost .
Lena drückt meine Hand ganz fest und schaut mich aus geröteten Augen an, dann spricht sie ganz leise: »Bring mich weg von hier. Bitte. Ich will nur noch nach Hause. Sofort!«
Quindici
Wir würden uns am Stand von Stauder Pils treffen, hat Willi gesagt, und ich muss schon zugeben, dass mir das imponiert, wie schnell der sich auf die lokalen Brauereien einzustellen vermag. Lena zieht ihren Vater vom Infoschalter eines niederbayerischen Ferienortes weg, wo sie auf dem Tresen das Selchfleisch des lokalen Metzgers anbieten, quasi als Appetitanreger für den
Weitere Kostenlose Bücher