Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
es sind schon eh ein paar Leute dort, die schauen wollen, was aus ihren Wohnwagen geworden ist.«
Je näher wir Sepiana kommen, umso deutlicher ist die Zerstörung sichtbar. Immer noch wehen überall Rauchfähnchen in den Hügeln, vereinzelt sieht man selbst vom Meer aus kleinere Feuer glimmen. Dort, wo gestern Morgen noch alles grün war, sieht man jetzt nur noch schwarze Sträucher, es sieht aus wie nach einer Brandrodung.
Wir biegen um den letzten Felsen vor unserer Bucht, um den abgestorbenen rechten Arm. Ich greife nach Lenas Hand. Sie muss schlucken, heftig schlucken, und ich sehe, wie sie gegen die Tränen ankämpft. Wie sie versucht, Haltung zu bewahren, stark zu sein. So wie sie es immer sein musste als älteste Tochter.
Die Zona Dragona ist ausradiert. Dampfendes Ödland.
»Leck mich am Arsch«, sagt Willi, und es ist das erste Mal seit knapp 24 Stunden, dass er zumindest rein rhetorisch wieder der Alte ist.
»Unfassbar«, stammelt Helmut.
Bevor Freddie uns in der Grande-Paradiso-Bucht absetzt, warnt er uns noch einmal: »Wir sollen bloß vorsichtig sein, wo wir hintreten. Der Boden ist höchstwahrscheinlich verseucht«, dolmetscht Lena. »Im Moment weiß noch niemand, was hier alles an Dreck ausgetreten ist. Freddie meint, da könnten überall hochgiftige Schwermetalle in den Boden gesickert sein.«
Zwei blaue Chicco-Kinderwagen stehen auf dem Strand, kurz vor der Grotte. Einer ist umgestürzt, aus dem anderen ragt das karierte Sitzpolster heraus. Um den Wagen herum sind Windeln verteilt, Babykleider, ein kleiner bunter Plüschclown. Bis hierhin müssen die Eltern noch daran geglaubt haben, dass es eine Rettung gibt, die nicht durch das Wasser führt. Ein Teddybär im bunten Blümchenkleid liegt mit dem Gesicht nach unten im Sand, gleich daneben eine nackte Puppe mit strubbligem blonden Haar. Sie hat die Augen geschlossen.
Lena und ich gehen vorsichtig über den Strand, dabei schauen wir genau, wo wir hintreten. Mir kommt es vor, als bewegten wir uns in Zeitlupe, mein Körper fühlt sich an wie mit Blei beschwert.
Auf dem ganzen Platz sieht man Leute durch die Trümmer streifen. Carabinieri in ihren blauen Uniformen, die sich gar nicht erst die Mühe machen, die Touristen zu verjagen, die sich ein Bild von der Verwüstung machen wollen. Die unter dem Schutt und der Asche nach Habseligkeiten suchen.
Von unserem Wohnwagen ist wirklich nichts weiter übriggeblieben als ein trauriger Torso. Er hat keine Räder mehr, die Außenhaut ist zerfetzt und verglüht, nur noch ein paar Metall-Streben hängen irgendwie lose zusammen. Unsere Klamotten, die Bücher, mein ganzer irrer Technikkram, über den Lena sonst immer so herzlich lacht – alles in Flammen aufgegangen und zu winzigen Klumpen geschmolzen.
Lena schlägt die Hand vor den Mund.
»Fass bitte nichts an, okay?«, sage ich.
»Ich bin doch nicht bescheuert.«
Die gesamte erste Reihe ist eine einzige schwarz-graue Wüste, durch die sich unser Teerweg zieht. Ein Autowrack parkt mitten auf dem Asphalt zwischen dem demolierten Bungalow und Ercoles Pico Bello. Mir steckt ein Kloß im Hals, wenn ich daran denke, dass irgendjemand bis zum Letzten versucht hat, seinen Wagen zu retten.
In den Trümmern ringsum liegen Autoteile: Motorblöcke und Getriebe, schätze ich mal. So genau kenne ich mich da nicht aus. Die Hitze hat selbst die Alufelgen der Autos zu seltsamen Skulpturen deformiert; es sieht aus wie Bleigießen an Silvester, nur in viel zu großer Dimension.
Das Dach über der Terrasse des Bungalows in unserer Zone ist gekräuselt wie Wellblech. Die verschmorten Leitungen und Kabel haben ein mächtiges und tiefschwarzes Loch in die ockerfarbene Hauswand gebrannt. An einem der entlaubten Bäume ist sogar noch ein Schild mit einem Feuerlöscher-Symbol befestigt. Ich frage mich, ob da überhaupt je einer gehangen hat.
Willi steht vor der Ruine seines Wohnwagens. »Schau dir das mal an«, sage ich, »das Feuer muss sich bis in den Boden hineingefressen haben.« Unterirdische Plastikrohre sind geschmolzen, Wasserleitungen geborsten.
»Was interessieren mich die Wasserleitungen«, jammert er. »Mein Wagen. Was für eine Scheiße! Die ganze Arbeit. Alles für ’n Arsch.«
Ich will ihn gerade damit trösten, dass er als Rentner doch eh nichts Besseres zu tun hat, als alles noch mal neu zu bauen, da steuert mit einem Mal ein Schlauchboot tuckernd auf den Strand zu. An Bord zwei Frauen und zwei Männer. Willi guckt zuerst nur neugierig, dann erstarrt er
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