Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
ehrlich gesagt nicht so sicher, dass es sich dabei um die aktuellsten Bilder handelt. Und wenn doch, dann hat da einer nächtelang mit Photoshop rumgedaddelt, um die so hinzukriegen. Auf dem Tisch ein Stapel Broschüren, auf denen der Campingplatz paradiesischer ausschaut als je zuvor.
Ich schaue Massimo und Helmut an und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen: »Wer auch immer das fotografiert hat – er hat nur noch Adam und Eva vergessen.«
Massimo versteht nicht ganz.
»Guck mal«, sagt Helmut und deutet auf einen Stoß Papiere, »wir haben jetzt schon fast hundert Buchungen für den Sommer. Wahnsinn, oder?«
»Haben Sie Ihren Stammplatz schon reserviert?«, fragt mein Schwiegervater.
»Selbstverständlich«, sagt der Bürgermeister und streckt meinem Schwiegervater die Hand entgegen: »Helmut. Nenn mich einfach Helmut.«
Massimo hat seinen Arm um Lena gelegt. Ich muss an unseren letzten Strandspaziergang inmitten der Verwüstung denken. Es sah aus wie in Bagdad nach dem Einmarsch der US-Truppen. Hätte ich nicht für möglich gehalten, dass sich das Grande Paradiso je wieder erholen würde.
»Und«, frage ich, »wie schaut’s aus in Sepiana?«
»Tutto a posto«, sagt Massimo, und dann berichtet er von der großen Erleichterung im Dorf. Die Kirche ist seit dem Brand wieder jeden Sonntag bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Abergläubischen unter den Dorfbewohnern, und das sind nun mal gute 80 Prozent der Bevölkerung, haben das Inferno als himmlische Strafe betrachtet: dafür, dass sie fast eineinhalb Jahrzehnte lang nur noch dem sündigen Gedanken ans Geld anhingen; dass sie lieber Fortuna angebetet hatten statt die heilige Mutter Gottes.
Am Ende, erzählt Massimo, hat ihnen Padre Pio mal wieder den Hintern gerettet. Der Friedhof am Ortseingang war an jenem Spätvormittag schon komplett niedergebrannt. Und kurz bevor die Flammen Luigis Gemüsezentrale erreichten und sich weiter Richtung Altstadt ausbreiten konnten, drehte plötzlich der Wind und schickte das Feuer Richtung Grande Paradiso. Seither glauben sie in Sepiana wieder an Wunder.
Inzwischen ist auch Herbert mit seiner Ute unter großem Hallo eingetroffen. Den Kaufvertrag für seinen neuen Charisma hat er stolz mit einer edlen Ledermappe umhüllt unter seine linke Achselhöhle geklemmt. Fehlt eigentlich nur der Horst, und wir wären vollzählig.
»Weiß man denn schon, wie das alles passieren konnte?«, frage ich. »In der Zeitung stand, dass alle von Brandstiftung ausgehen, aber ich habe nichts mehr gelesen.«
Wie in eigentlich allen touristisch interessanten Gegenden Südeuropas sind Waldbrände auch hier in der Regel kein Zufall. Abgesehen von ein paar debilen Pyromanen stecken oft genug lokale Viehhirten dahinter, die mit der Brandrodung neue Weideflächen erschließen wollen. Meistens aber sind es ruchlose Grundstücksspekulanten, die auf diese Weise Platz für Hotelkomplexe schaffen wollen. Jede Wette, dass es um nichts anderes geht.
Statt mir eine Antwort zu geben, nimmt Massimo Lena beiseite. Die beiden machen ein paar Schritte ins Abseits, bis sie außer Hörweite sind. Massimo fuchtelt mit den Händen in der Luft, er schlägt mit der rechten Handkante in seine linke Handfläche und quasselt nonstop auf Lena ein, bis ihr irgendwann die Kinnlade runterfällt. Sie stützt sich mit der Hand an der Wand ab, fassungslos, dann fängt sie an zu weinen vor Wut.
Ich stürze auf die beiden zu: »Was ist passiert?«
»Sie, sie«, stammelt Lena, dann schreit sie so laut, dass es auch die anderen hören: »Sie haben Fabio verhaftet. Der hat den Brand gelegt. Dieses Arschloch, wie konnte er nur? All unsere Erinnerungen …«
»Ach du Scheiße«, sagt Willi, der jetzt mit den anderen in unsere Hörweite vorgerückt ist.
»Seht ihr, hab ich doch gleich gesagt«, jubelt Bürgermeister Helmut. Den Besserwisser in sich kann er einfach nicht unterdrücken.
Ich nehme Lena wortlos in den Arm. Innerlich zerreißt es mich gerade. Ich könnte schier platzen vor Freunde und Triumph und Rachegefühl oder was auch immer. Dieser kleine schleimige Drecksack, denke ich nur. Aber dann sehe ich Lena, die sich offensichtlich so verraten fühlt wie noch nie in ihrem Leben. Getäuscht, belogen. Und von einem Menschen um ihre zweite Heimat gebracht, mit dem sie keine zwölf Stunden zuvor noch auf der Vespa durch die Macchia gerauscht war.
»Hey, das ist bestimmt nur ein Irrtum«, flunkere ich.
»Ach, hör doch auf, dieser Typ ist ein mieses Schwein«, brüllt
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