Alles bestens
war gut mit den Zähnen zu bearbeiten, vielleicht stahl ich jetzt meinem Alten die erotische Show. Aber ich glaubte nicht wirklich, dass mein Vater zu der Sorte von Männern gehörte, die ihren Ehefrauen die Nachthemden zerbeißen.
Allmählich sah das Teil jetzt aus wie ein T -Shirt, nur die geknoteten Träger störten. Aber als ich es von links anzog, verschwanden die Knoten. Ihr könnt mir glauben, ich hatte mich schon lange nicht mehr so über ein Kleidungsstück gefreut. Jetzt fehlten nur noch Schuhe, und dann wollte ich in die Stadt fahren, mit der S -Bahn nach Treptow, ab aufs Badeschiff. Da würde ich bestimmt ein paar bekannte Gesichter treffen und mich durchschnorren für die nächsten Tage, ich will etwas wagen, ich kriege nie genug .
Erst dachte ich, ob ich aus der khakigrünen Leinenhose vielleicht ein paar Mokassins oder so was basteln könnte, aber dann entschloss ich mich, barfuß zu gehen und den alten Klammerbeutel mitzunehmen. Unser Klammerbeutel passte prima zu nackten Füßen, eine ausgefranste Hippietasche, die meine Mutter zu ihrem 13 . Geburtstag von einer Schulfreundin geschenkt bekommen hatte.
Ich kippte die Klammern in einen leeren Blumentopf und zog die Kordel heraus. Jetzt war es eine Umhängetasche und sie ging mir bis zur Hüfte. Ich steckte das Buch ein und wollte gerade los, erst zu Sandra, dann aufs Badeschiff, da sehe ich meinen schwarzen Edding in dem Klammerberg. Ich weiß zwar nicht, wie der da hingekommen ist, aber ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen, wie ich mich über den Scheiß- Edding gefreut habe! Ich zog das T-Shirt noch mal aus und schrieb vorne, quer über die Brust, »Che Guevara« drauf.
So ein geiles T -Shirt hat noch keiner gesehen!
Ich stiefelte also los, die Matterhornstraße entlang, links in die Kaiserstuhlstraße. Mir begegnete niemand, nicht mal der alte Dobermann. Ich erwähnte ja schon, dass unser Kiez nicht gerade der lebendigste von Berlin ist, und die paar Rentner, die mir entgegenkamen, wechselten, sobald sie mich sahen, die Straßenseite. So einen barfüßigen Klammerbeutel-Hippie hatten sie mindestens 30 Jahre nicht mehr gesehen, und ich dachte schon, gleich ruft irgend so eine Kröte die Polizei. Wenn mich die Bullen da schon einkassiert hätten, wäre mir einiges erspart geblieben, ich wäre heute noch Jungfrau, Hänschen klein, kein kriminelles Element und hätte keine Ahnung vom Leben.
Zum Glück kam keine Polizei.
Ich guckte über jeden Gartenzaun, ob ich Sandra und den kleinen Hosenscheißer entdeckte, aber in den Vorgärten keine Spur von Spielzeug. In den Einfahrten stand nicht mal ein verdammter Kinderwagen. Plötzlich öffnete sich eine Haustür und Luka stolperte heraus, rannte glucksend auf mich zu. Ich wollte gerade die Gartenpforte öffnen, da kam eine Frau aus der Tür und schnappte sich das Kind. Sie war groß und blond und trug ein weinrotes Twinset.
»Was machen Sie da?«, blaffte sie mich an, und ich zog die Hand von der Pfortenklinke, als wäre sie heiß.
»Ich möchte zu Sandra«, hörte ich mich sagen. Ein Müllauto fuhr vorbei und zog einen fauligen Geruch hinter sich her. Die Frau rümpfte die Nase.
»Hier gibt es keine Sandra«, sagte sie. Der Kleine auf ihrem Arm grinste mich an.
Ich hätte schwören können, es war Luka.
»Ihr Au-pair-Mädchen, Sandra …«, stotterte ich.
»Ich habe kein Au-pair-Mädchen«, sagte die Frau. »Leider.« Ihre Fingernägel hatten genau dieselbe Farbe wie das Twinset. Sie ging zur Haustür zurück. Das Kind schielte über ihrer Schulter zu mir.
»Wie heißt denn der Kleine?«, rief ich ihr hinterher.
»Es ist kein Junge«, sagte sie. »Sie müssen da was verwechseln.«
»Hat sie noch einen kleinen Bruder?«
Sie antwortete nicht.
»Wissen Sie denn, wo hier ein Au-pair-Mädchen aus der Ukraine wohnt?«, fragte ich.
»Nein.« Sie schob die Tür hinter sich zu.
Echt freundlich, die Leute in Zehlendorf, so aprilfrisch und hilfsbereit!
Ich wünschte ihr einen schönen Tag, genau in dem Ton wie diese Penner immer, wenn man ihnen keine Zeitung abkauft.
Mein Magen knurrte wieder. Ich musste mich einen Moment an der Gartenpforte abstützen, weil mir wieder schummerig wurde. Und da sah ich den Schnuller. Es war Lukas Schnuller, kein Zweifel. Der mit den abgelutschten Enten. Ich fischte mir den Schnuller mit zwei Fingern durch das Gitter der Pforte. Im Haus wackelte eine Gardine. Mit dem Schnuller in der Tasche ging ich weiter, wie betäubt, ich fühlte meine Füße nicht mehr und
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