Alles bestens
spürte jeden einzelnen Buchstaben, den ich aufs Seidenhemd gekritzelt hatte. Sie brannten sich in meine Männerbrust. Vielleicht hatte ich aber auch nur einen Sonnenbrand oder Sonnenstich oder so was in der Art, denn es war mittlerweile ein Uhr mittags, und ich hatte drei Stunden in der Sonne gelegen, was sonst wirklich nicht meine Art ist.
Ich wandelte zur S -Bahn. Ich sagte ja schon, dass ich meine Füße nicht mehr spürte. Einen Augenblick dachte ich, ich könnte über Wasser gehen, so leicht und mit diesem Gefühl, keine Füße mehr zu haben, ging das bestimmt. Der gute Jesus soll das ja auch geschafft haben. Mann, das wäre eine Nummer gewesen, mit der ich bestimmt Geld verdient hätte, wenn ich einmal über den Schlachtensee spaziert wäre. Aber ich hatte keine Kraft für Experimente. Also ging ich zur S -Bahn. Ich wollte nur noch weich sitzen und überlegen, was mit Sandra passiert war. Da kam ich an einem Papierkorb vorbei. Papierkorb ist untertrieben, es war einer dieser Multi-Abfallbehälter, für Papier, Verpackung, Restmüll und all den Scheiß, den man sich sowieso nicht merken kann. Aus dem Papiereimer klaubte ich mir einen Tagesspiegel und aus dem Restmüll eine Pizza. Das ging schneller als am Pizzastand, schwupp, und schon hatte ich eine Pizza in der Hand. Sie war noch warm und es war nur einmal abgebissen worden. Dem Biss nach zu urteilen war es ein Kind gewesen. Es war keine Pizza vom Italiener, eher so ein eingefrorenes Dr.-Oetker -Teil, pfannkuchengroß mit Peperoni und Pilzen. Das Kind hatte genau in ein Peperonistück gebissen. Wahrscheinlich war es zu scharf gewesen und darum hatte das Kind die Pizza weggeschmissen. Mir lief die Spucke aus dem Mund wie bei einem Dobermann. Dobermänner sabbern immer. Jedenfalls der an der Matterhornstraße sabberte wie verrückt, wenn man zu nah am Zaun vorbeiging. Manchmal konnte der gar nicht mehr bellen vor lauter Sabberei.
Ich hätte auch nicht mehr sprechen können, nicht einen Ton hätte ich rausgekriegt, wenn jetzt jemand gekommen wäre und mich nach irgendeiner blöden Straße gefragt hätte. Aber es war niemand weit und breit, nur meine Pizza und ich, und dann schlang ich sie in ein, zwei Bissen runter. Ich kaute nicht richtig, ich würgte große Stücke herunter, wie eine Boa Constrictor, die eine Ratte vertilgt. Ich erschrak selbst vor mir. Einmal das Frühstück verpasst und schon wird man zur Bestie! Wie sollte das nur mit mir weitergehen?
Die Pizzastücke lagen mir wie Wackersteine im Magen. Als ich die Treppe zum Bahnsteig hochging, dachte ich, ich müsste sie wieder hervorwürgen und richtig kauen, weil ich sie sonst nicht verdauen würde, aber ich war ja kein Wiederkäuer, und dann kam auch schon meine S -Bahn.
Ich setzte mich in den letzten Wagen, schloss die Augen, hörte, wie die BVG -Schnecke »Oranienburg zurückbleiben!« rief, hörte die Signale piepen, die Türen zuklappen und dann fuhren wir los, mitten in die Stadt.
Sandra II
Nicht , dass es was Besonderes gewesen wäre, S -Bahn zu fahren, ich fahre täglich mindestens zwei Mal mit der BVG , aber jetzt kam es mir so vor, als säße ich gar nicht in der S -Bahn. Im Flugzeug saß ich auch nicht, das war klar, und irgend so ein Spaceshuttle konnte es auch nicht sein, dafür waren wir zu langsam. Ich kam mir eher vor wie in einer Pferdekutsche, und wenn ich die Augen schloss, sah ich Sandra vor mir. Sie saß mit weißen Handschuhen und schwarzem Hut vor mir, hatte einen Schleier über den Augen, der nur den Mund frei ließ. Sie redete mit mir, aber ich konnte sie nicht hören. Ich schaute diesen ungeschminkten Mund an, wie er fröhlich in ihrem Gesicht herumhüpfte. Dann verwandelte er sich in einen Schmetterling und flog davon.
Die S -Bahn bremste. Schöneberg. Mir gegenüber saßen ein Typ und eine Frau mit BZ . Ich holte meinen Tagesspiegel aus dem Klammerbeutel und blätterte die Seite Auslandspolitik auf. Nicht dass ich ernsthaft Zeitung lesen wollte, aber es war mein Schutzschild gegen die BZ -Leser. Ich schielte seitlich neben dem Tagesspiegel hervor und las eine interessante Meldung in der BZ :
ENDE EINER TRAUMEHE – REICHTUM MACHT EBEN DOCH NICHT GLÜCKLICH
Ich beugte mich vor, damit ich den Artikel lesen konnte:
Nach zwei Monaten Ehe will sich die aus Bayern stammende Adlige Hatice Nawaz alias Roswitha von Miesburg von ihrem Kamil Al-Shahrani trennen. Die ehemalige Prinzessin habe darunter gelitten, dass sich der 27 Jahre ältere Multimilliardär Al-Shahrani schon
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