Alles bleibt anders (German Edition)
Anwesenheit wahrnahm.
»Beide Arme und beide Beine sind fixiert«, fasste Karen zusammen.
»Nicht ungewöhnlich in der Psychiatrie«, sagte Jakob lapidar, während er die Arzneimittel auf dem Beistelltisch untersuchte. »Überaus starke Sedativa. In dieser Menge und Kombination nicht gerade ungefährlich. Einmal der falsche zeitliche Abstand zwischen der Verabreichung oder ein Quäntchen zu viel, schon kann es gefährliche, bleibende Folgen nach sich ziehen.«
»Umso besser, dass wir sie so schnell wie möglich hier heraus holen«, entschied Frank und begann an der Schnalle des Lederbands herum zu ziehen, das ihr Handgelenk einschnürte.
»Ich möchte sie zuerst untersuchen, Frank. Ob ihr Zustand halbwegs stabil ist. Ob sie transportfähig ist.«
Frank hatte Claires Linke nun befreit und rieb ihre eiskalte Hand zwischen seinen Handflächen, während Karen die Leder um Claires Fußgelenke löste.
Jakob öffnete seinen Arztkoffer, entnahm verschiedene Utensilien und steckte Claire ein Thermometer unter die Achsel.
Danach zog er seine Taschenuhr aus seiner Kitteltasche und klappte sie auf. Die Uhr in der einen Hand haltend, griff er mit der anderen Hand an Claires nun freies Handgelenk und suchte nach ihrem Puls.
»Puls ist schwach, aber stabil«, meldete er.
Frank, der währenddessen Claires Rechte aus ihren Fesseln löste, rieb auch diese und hielt dann seine eigene Hand an Claires Stirn.
»Die Hände sind eiskalt, die Stirn ist glühend heiß«, sagte er.
»39,4«, las Jakob das Ergebnis des Thermometers, das er aus Claires Achselhöhle zog.
»Die Auswirkungen der Medikamente, von Wiegands Behandlungsmethoden«, schloss Frank.
»Langsam, Frank«, bremste ihn Jakob, »ich fürchte, du steigerst dich da in etwas hinein. Diese Arzneimittel dort: ein verantwortungsvoller Arzt würde sie nie anwenden, wenn nicht die Notwendigkeit dafür gegeben wäre.«
»Ein verantwortungsvoller Arzt, ja. Aber du kennst Dieter Wiegand nicht, glaub mir, Karen und ich wissen über ihn Bescheid, über ihn und seine Machenschaften.«
»Vielleicht war Claire wirklich plötzlich krank geworden; vielleicht trägt sie auch schon länger psychische Probleme mit sich herum. Schließlich war es damals ein schwerer Schlag für sie, als sie …«, Jakob suchte kurz nach Worten, » …die Leiche ihres frisch Verlobten identifizieren und an seinem Grab stehen musste. Die Konfrontation mit dir hat dann all den Kummer und Schmerz wieder ausgegraben. Es könnte ihr den Rest gegeben haben.«
Für einen klitzekleinen Moment spielte Frank mit dem Gedanken, auch diese Variante als Erklärung in Erwägung zu ziehen.
Doch als Jakob noch ergänzte, dass Dieter Wiegand vielleicht wirklich nur Claires Bestes wolle, waren seine Zweifel wieder wie weg gewischt.
»Wiegand ist skrupellos. Er hat gestern Abend versucht, mich zu töten.«
»Frank, vielleicht überinterpretierst du da etwas. Es gibt bestimmt für alles eine Erklärung. Möglicherweise will Wiegand seine Frau nur vor dir schützen.«
»Nein«, schrie Frank Jakob an und im nächsten Moment tat es ihm leid, »Dieter ist Claires Schicksal völlig egal. Er will etwas völlig anderes.«
»Was, um Himmels Willen, will Dieter Wiegand deiner Meinung nach?«
Frank wurde wieder versöhnlicher.
»Ich kann dir das jetzt nicht erklären, Jakob, es ist eine lange Geschichte. Wir haben im Moment nicht die nötige Zeit.«
»Wie soll ich dir helfen, ohne die ganze Wahrheit zu kennen?«
»Vertrau mir, Jakob.«
»Ich möchte dir vertrauen, Frank. Aber verstehe bitte auch meine Situation. Drei Jahre habe ich dich für tot gehalten. Dann tauchst du wieder auf, die genauen Hintergründe sind mir nach wie vor schleierhaft. Du verlangst von mir, dass ich meinen Beruf aufs Spiel setze und euch in eine geschlossene Abteilung einschleuse. Gut, ich bringe die nötige Chuzpe auf – mit äußerstem Widerwillen – unserer alten Freundschaft zuliebe. Doch was du jetzt verlangst, geht zu weit. Im Moment komme ich wahrscheinlich noch mit einem blauen Auge davon, mit einer Verwarnung möglicherweise. Wenn ich aber eine Patientin entführe, kann ich ebenso gut meinen Doktortitel zurückgeben. Es wird mich meinen Arbeitsplatz kosten, hier an der Charité und auch an jeder anderen Klinik.«
»Also gut«, gab sich Frank geschlagen, in einer Mischung aus Einsicht und Ungeduld, »Karen und ich ziehen das alleine durch.«
Er ging zu Jakobs Arztkoffer und entnahm ihm den mitgebrachten weißen Arztkittel.
Dann ging er zu Claire, um zusammen mit
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