Alles bleibt anders (German Edition)
erinnerte Frank sich, »die Menschen, die ich hier in diesem Park beim Grillen sah, das waren keine Deutschen, es waren Türken. Die Männer hatten schwarzes Haar, dicke Schnurrbärte, die Frauen trugen Kopftücher, waren teilweise von oben bis unten verhüllt.«
»Ein Park voller Ausländer, die feiern? Mitten in Germania?«
»Ich hoffe, wir sind in Berlin.«
»Wahrscheinlich ist die Türkei auch hier ein Vasallenstaat des Deutschen Reichs.«
An einem der schräg hinter dem Bahnhofsgebäude gelegenen Eingänge zum Park tauchte ein etwa achtjähriger Junge auf. Die quadratische Schultasche, die er auf dem Rücken trug und links und rechts hinter ihm hervorlugte, wirkte viel zu groß und viel zu schwer für den Jungen.
Was Frank und Tristan jedoch viel mehr erstaunte: Der Junge war schwarz.
Mit großen Augen fixierten die beiden, die – außer auf Bildschirmen oder in Büchern – noch nie einen Schwarzen gesehen hatten, den Jungen und folgten ihm mit ihren Blicken. Eigentlich wollte er nur vorübergehen, den Park durchqueren, um ihn an der anderen Seite wieder zu verlassen: eine Abkürzung für ihn auf seinem morgendlichen Schulweg. Doch der Umstand, das Opfer der verwunderten Blicke der beiden Männer geworden zu sein, ließ ihn stehen bleiben und zurückstarren.
»Wat kiekste denn so?«, herrschte er Tristan an.
Der war sprachlos.
Frank reagierte.
»Schicke Schultasche«, sagte er, um abzulenken.
»Det is'n olles Ding. Ick will schon lang 'ne neue haben. Meine Mama sagt, dafür haben wir keen Jeld.«
Und, sich erinnernd, was seine Mutter noch gesagt hatte, nämlich, dass er nicht mit Fremden reden solle, sagte er:
»Ick muss jetzt weiter. Zu die Schule.«
Der Junge wollte sich schon umdrehen, da sagte Frank: »Halt! Warte!«
Für einen Moment spielte der Junge mit dem Gedanken, einfach davon zu rennen, da ihm die beiden Männer doch sehr seltsam erschienen. Dann siegte seine Neugier.
»Ja?«
»Wir suchen so etwas wie eine Bibliothek!«
»Eine Bibliothek?«
»Ja«, Frank war sich nicht sicher, ob der Junge begriff, wovon er sprach, »eine Bücherei. Ein Haus, in dem sehr viele Bücher sind. Ein Ort, an dem man Dinge nachlesen kann.«
»Ick weeß was 'ne Bibliothek is'. Bin doch nich' bekloppt!”
»Und? Weißt du auch, wo wir eine finden können.«
»Mit meiner Mama war ick mal in die Amerika-Jedenk-Bibliothek. Die ham auch Computer-Spiele da.«
»Wo befindet die sich?«
»Wir sind mit die U-Bahn hinjefahren.«
»Mit welcher U-Bahn?«
»Hier draußen«, der Junge zeigte in nördliche Richtung, »immer die Neese nach!«
Dann wurde es ihm doch zu mulmig. Er gab Fersengeld.
Frank und Tristan machten sich auf den Weg, den ihnen der Junge gewiesen hatte.
»Sie ist sehr anders, diese Welt!«, sagte Tristan mehr zu sich selbst.
»Ja. Sieh dir die an!«
Mit dem Finger deutete Frank auf drei Gestalten, die alle von oben bis unten in orangefarbenen Arbeitsmonturen steckten. Als sie sie erreichten, entpuppten sie sich als zwei Männer und eine Frau, die relativ kräftig wirkten und die beiden näher Kommenden gar nicht beachteten. Die drei waren damit beschäftigt, Müll einzusammeln und den Gehweg zumindest vom gröbsten Unrat zu säubern.
Auf dem Rücken des einen stand eine Buchstabenkombination, die die beiden Reisenden nicht verstanden: 'We kehr for you.'
»Wahrscheinlich eine Art Arbeitsdienst«, flüsterte Tristan.
Frank nickte.
Kurz darauf gelangten sie ans Ende des Parks. Ein großes Fahrzeug parkte unmittelbar am Ausgang, im gleichen orangefarbenen Farbton gehalten wie die Arbeiter; auf dem Fahrzeug der Schriftzug 'Berliner Stadtreinigung'.
Daneben eine Art Kiosk; 'Hühnerhaus' stand darauf zu lesen und der untersetzte, glatzköpfige Besitzer war gerade dabei, die ersten Vögel auf die Spieße zu schieben.
Vor dem Kiosk an einem Tischchen hatten sich bereits die ersten Morgengäste eingefunden: zwei Männer, die jeweils eine grüne Halb-Liter-Flasche vor sich stehen hatten und eine weitere, deutlich kleinere gerade an die Lippen führten.
»Noch mehr Veteranen«, sagte Tristan.
»Sie scheinen hier auch zwischen ein Uhr nachts und acht Uhr abends Alkohol zu verkaufen.«
»Sehr ungewöhnlich.«
Die U-Bahn mussten sie nicht lange suchen, sie verlief hier oberirdisch und war die erste Übereinstimmung zu ihrer eigenen Realität, die sie feststellen konnten.
»Ich entsinne mich, dass ich auch in der 1399er Ebene diese Hochbahn gesehen habe.«
»Das bestätigt unsere Theorie, dass es trotz grundlegender Unterschiede so
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