Alles bleibt anders (German Edition)
Identität bereits bestätigt worden. Es war eine Formsache. Als ich mir die Leiche ansah, konnte man das entstellte Gesicht kaum erkennen. Dennoch war ich mir sicher, dass da Frank Miller vor mir lag; man hatte mir Ihren Namen ja vorher genannt und Größe, Statur und was vom Gesicht und Haar zu erkennen war, passten zweifellos zu Ihnen. Das Muttermal konnte ich leider nicht mehr überprüfen, da vom Oberschenkel nicht mehr viel übrig war. Ich beurkundete Ihren Tod.«
»Wer hatte die Identität bestätigt?«
»Warten Sie. Ich muss mal überlegen. Ihre Mutter war es nicht, sie hat ja nie an Ihren Tod geglaubt und ich bin mehr als überrascht, dass sie Recht behielt. Ihr Vater war es auch nicht, der war ja kaum noch ansprechbar, seit der schrecklichen Nachricht …«
Er überlegte.
»Es war Ihre damalige Verlobte. Ihre Mutter war sehr ungehalten deswegen.«
7
Am Großen Müggelsee wäre die Fotografie entstanden, hatte ihm seine Mutter beim Mittagessen erzählt. Und dorthin zog es ihn nun auch. Luise schwärmte verträumt, dachte an frühere Tage dort und hätte ihn am liebsten begleitet, doch Frank zog es vor, alleine zu sein. Er war etwas länger unterwegs als gestern Abend, es dauerte über anderthalb Stunden, ehe er mit der Droschke an der bewohnten Nordseite des Sees eintraf. Von dem Geld, das ihm Luise gegeben hatte, war mittlerweile fast die Hälfte aufgebraucht.
Die Sonne hatte ihren Zenit schon vor knapp drei Stunden überschritten und der Himmel war genau so wolkenlos wie an den beiden Tagen zuvor.
Kinder spielten an der Uferpromenade, wachsam beäugt von auf Bänken sitzenden Müttern und Gouvernanten; Boote waren am Kai vertäut und warteten darauf, angemietet und hinausgerudert zu werden, nur aus der puren Lust heraus, diesen herrlichen Frühlingstag zu genießen. Einigen war dies vergönnt und sie schaukelten nun gemächlich auf dem Wasser hin und her. Möwen und Tauben buhlten um die Gunst einer älteren Dame, die, auf einem Mäuerchen sitzend, altes Brot zerkrümelte und vor sich verstreute.
In der Ferne konnte Frank das Südufer des Sees erkennen.
Er entdeckte auch ein paar Jugendliche, die sich da draußen auf dem See ein Wettrennen lieferten; er sah junge Frauen mit Sonnenschirmen in den Booten, Männer, die Ärmel hoch gekrempelt, sich kräftig in die Riemen legend. War er wie sie gewesen, an jenem Tag, als Claire und er fotografiert wurden?
Wohin ihn seine Schritte führen sollten, wusste er noch nicht. Einen neuen Hinweis, eine Anregung, das wünschte er sich.
Gemächlich ging er die Promenade entlang und sog die frische Seeluft ein. Irgendwann gelangte er an das Ende des befestigten Bereichs und nach einem Tunnel, der die Spree, die hier den See verließ, unterquerte, wurde aus dem gepflasterten Weg nicht mehr als ein Trampelpfad, der zwischen Laub- und Nadelbäumen weiter um den See herum führte. An einer Stelle, an der sich der Wald zum See hin wieder lichtete, beobachtete er erneut das bunte Treiben auf dem Wasser. Ein Stück hinter ihm bemerkte er einen anderen Spaziergänger, der kurz zu ihm herüber sah, und sich dann nach unten beugte, um sich die Schuhe zu binden.
Nach einiger Zeit hatte Frank den See beinahe zur Hälfte umrundet und gelangte an die Südseite des Müggelsees. Auch sie war befestigt, aber es waren nur vereinzelt Menschen zu sehen. 'Werktags geschlossen' las Frank an einem Schild an einer kleinen Hütte, die ansonsten Getränke verkaufte, wie er aus der plakatierten Preisliste schloss.
Und dann sah er Claire!
Sie saß in einigen Metern Entfernung auf einer Parkbank im Schatten und trug ein ockerfarbenes hochgeschlossenes Kleid und einen dazu passenden, eleganten Hut. Ihr Blick war auf den See hinaus gerichtet, doch er endete in viel weiterer Ferne, denn ihre Augen waren ausdruckslos. Er konnte sich einfach neben sie setzen, ohne dass es ihr auffiel. Jetzt sah er die feste Schnur mit Perlen in ihren Händen, einige große und viele kleine waren aufgereiht.
Ihre Fingerspitzen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger ruhten zwischen zwei der kleinen Kugeln, schoben eine Perle weiter, um dann zwischen den zwei nächsten zu verweilen.
Als Frank Claire genau anblickte, bemerkte er die sanfte Bewegung ihrer Lippen und er wusste, dass sie gerade ein neues tonloses 'Ave Maria' formten. Trotz der Entrücktheit ihres Blickes, erfasste er die Schönheit ihrer Augen. Seine Finger sehnten sich danach, ihre Haut zu berühren, ihr über Stirn, Nase, Lippen, Kinn und Hals zu
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