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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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waren all die Erlebnisse des vergangen Tages präsent. Durch eine geschlossene Tür hörte er lautes Schnarchen. Frank schlich zur Küche, drehte das Wasser am Spülbecken auf, hielt den Kopf unter den Wasserhahn und schluckte mehrere Mund voll Wasser.
Zum ersten Mal bemerkte er den Spiegel, der im Gang hing. Der Mann, der ihm arglos entgegenblickte, hatte Ringe unter den braunen Augen. Er wirkte blass und kränklich. In besseren Tagen hatte sein kurz geschnittenes, braunes und in der Mitte gescheiteltes Haar sein Gesicht sicherlich akkurat umrahmt und dessen auch jetzt noch erkennbare Attraktivität unterstützt. Heute stand es eher wirr durcheinander und er brachte es notdürftig in Ordnung. Mit der Handfläche fühlte er über seine Bartstoppeln am Kinn.
Dann drehte er sich um, nahm den Schlüsselbund vom Brett, ging kurz die halbe Etage nach oben, kehrte zurück und hängte die Schlüssel wieder an ihren Platz. Danach verließ er Nansens Wohnung.
Anders als mit den Bruchstücken zur 'Großbeerenstraße' kroch mit dem Namen 'Dreifaltigkeitsfriedhof' nichts lange Vergessenes in Franks Gedächtnis zurück. Ihn zu finden, stellte dennoch kein großes Problem dar. Bereits der zweite Passant, den er fragte, kannte den Friedhof und wies ihm den Weg. Der mit einer blauen Arbeitsmontur Bekleidete meinte allerdings, es wäre zu Fuß viel zu weit dort hin und er solle sich lieber eine Droschke nehmen. Frank jedoch winkte ab. Nach all den langen Wegen des gestrigen Tags schien ihm der Wegbeschreibung nach, die Strecke zum Friedhof nur ein Katzensprung zu sein. Außerdem hatte er ja kein Geld, mit dem er sich eine Fahrt mit Straßenbahn oder gar Droschke hätte leisten können. Die Wohnung Nansens danach zu durchsuchen, war ihm kurz in den Sinn gekommen. Das ihm von Nansen entgegen gebrachte Vertrauen hatte er aber nicht enttäuschen wollen – trotz seiner vertrackten Situation.
So blieb nur der Fußmarsch, für einen Spaziergang relativ lange, aber nichts im Vergleich zu gestern. Ihn fröstelte in seinem weißen Baumwollhemd. Für die Temperatur eines Frühlingsmorgens war es doch relativ dünn. Als die Sonne höher stieg und die Straßen und Gassen etwas aufheizte, fühlte er sich wohler. Zumeist führte ihn sein Weg durch Wohngebiete mit überwiegend fünfstöckigen Gebäuden. War die Eingangstür geöffnet, konnte er einen Blick in die Innenhöfe erhaschen, meist schmutzig und verwahrlost, umrahmt von Seitenflügeln und einem Hinterhaus, das im gleichen Baustil wie das Vorderhaus erbaut worden war, doch weitaus weniger repräsentativ wirkte, keine Erker, keine baulichen Spielereien, keine kunstvollen Verzierungen wie nach vorne zur Straße. In den ebenerdigen Stockwerken der Vorderhäuser entdeckte er zahlreiche Läden und Werkstätten, deren Besitzer gerade für die ersten Kunden öffneten: Schuhmacher und Schneider, Tischler und Kohlenhändler. Frauen, die Schaufenster putzten; Männer, die den Bürgersteig kehrten; Geschäfte, über denen die Worte 'Colonialwaren', 'Butter und Delikatessen' oder 'Besohl-Anstalt' prangten. Auch entdeckte er ein zweistöckiges Bekleidungsgeschäft und einen Laden, über dessen Schaufenster 'Elektrisches aller Art' zu lesen war, hinter der Scheibe präsentierten sich Lampen, Radios und Elektrik-Kleinteile. Bei den Auslagen der Bäcker und Fleischer beklagte sich sein Magen leise über das fehlende Frühstück.
Franks Begleiter war der ständig in der Luft liegende Geruch von Pferdeäpfeln. Wie bereits während der gestrigen Flucht sah er Droschken und vereinzelt auch von Pferden gezogene, gelbe Wagen, die in Schienen fuhren und auf denen in großen Buchstaben 'Pferde-Straßenbahn' stand; auf anderen Strecken waren sie bereits durch solche ersetzt worden, die ohne Muskelkraft auskamen und auf denen 'Elektrische Straßenbahn' zu lesen war. Drei Mal beobachtete er auch einen Wachtmeister seines Weges ziehen oder an einer Straßenecke stehen: mit einer Pickelhaube auf dem Kopf, einem Schlagstock am Gürtel und einem Lederband mit Trillerpfeife um den Hals. Ganz instinktiv ging er einen Bogen um jeden der Männer, die am Oberarm ein schwarzweißrotes Wappen trugen, darunter einen stilisierten schwarzen Bären.
Später, noch deutlich vor der Mittagsstunde, traf er am Friedhof neben der Dreifaltigkeitskirche ein. Seine Kopfschmerzen waren vergangen.
Es war kein sehr großer Friedhof, der dort hinter den weit geöffneten schmiedeeisernen Toren vor ihm lag. Doch die Gräber reihten sich dicht an

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