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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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auch das Herz wieder mit
und dann fängt ein neuer Frühling an.

'Ein neuer Frühling wird in die Heimat kommen'
Comedian Harmonists, 1933
     
     
     
     

1
     
    »Gegrüßet seist du Maria, der Herr ist mit dir.«
Nach einem kurzen unruhigen Schlaf war Frank Miller wieder erwacht und hatte sich aufgesetzt. Ein kurzer Blick der Orientierung genügte ihm. Er sah weit voraus im Kirchenschiff an erhabener Position das goldene Tabernakel, davor den steinernen Altar und darüber mit niemals erlöschender Flamme das Ewige Licht, das, bescheiden wirkend, dennoch unübersehbar war. Sofort war ihm wieder klar, an welchem Ort er sich befand. Und die Kirche, in die er sich in der Nacht zurückgezogen hatte, erstrahlte jetzt, im Schein der ersten Sonnenstrahlen, in einem unwirklichen geradezu überirdischen Licht.
Die Stimme, die leise das 'Ave Maria' sprach, war Franks eigene.
»Du bist gebenedeit unter den Weibern.«
Die Sonnenstrahlen brachen durch die farbigen Glasbausteine, die über dem Eingangsportal, auf großer Fläche zum Mosaik vereint, offenbarten, was der Kirche seinerzeit ihren Namen verliehen hatte. Gott, der Vater, in der Mitte stehend; sein Sohn Jesus Christus und der Heilige Geist – in menschlicher Form dargestellt – zur Linken und zur Rechten Gottes. Alle drei hatten ihren Blick zum Inneren der Kirche und damit zur Gemeinde gerichtet. Sie standen aufrecht, ihre Handflächen nach vorne gewandt, die Fingerspitzen nach unten gerichtet. Ihre Blicke waren gnädig und vergebend. Frank, der, ihnen gleich, nach vorne zum Altar blickte, glaubte ihre Anwesenheit zu spüren. Auf seinem Rücken fühlte er die wohltuende Wärme, die die aufgehende Sonne schuf. Und vor ihm schwebten majestätisch Staubteilchen durch die verschiedenfarbigen Lichtstrahlen, welche im Allerheiligsten des Gotteshauses ihr Ziel und ihre Bestimmung fanden. Einen kurzen Moment dachte Frank an all die Gläubigen, die im Laufe der Jahrhunderte in überfüllten sonntäglichen Morgenandachten, genau diesen vom kirchlichen Architekten erdachten Effekt erlebt hatten.
»Und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.«
Sein zweiter Gedanke, nachdem er der Dreifaltigkeitskirche gewahr wurde, fand zu Claire. Ihr Zustand und ihre Lage waren ihm in seine Träume nachgeeilt. Und das Bild Claires, kraftlos und bleich, auf der Couch liegend, Dieter Wiegand und seiner Spießgesellin ausgeliefert, drängte sich nun auch wieder zurück in seinen Wachzustand. Aber er sah sie auch lachend, an seinem Arm untergehakt, wie auf der Fotografie am Tag des Ausflugs an den Müggelsee. Und schließlich erschien sie vor seinem inneren Auge so, wie zu dem Zeitpunkt, als er gespürt hatte, dass ihre Seelen einander berührten: Sie hatte auf der Bank gesessen, ihren Rosenkranz in Händen haltend und ihren Blick zum See und doch in unerreichbare Weiten gewandt. Ungeachtet ihres aufgewühlten Zustands, hatte sie tonlos ihre Gebete geflüstert und gewirkt, als wäre sie mit sich und der Welt im Reinen.
»Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.«
Als Frank seine Augen schloss, wurde alles plötzlich grün. Es war ein fluoreszierendes Grün und Frank ahnte, dass es etwas mit dem Geheimnis zu tun hatte, das seinen vermeintlichen Tod umgab und sein plötzliches Auftauchen drei Jahre danach. Den Knopf im Medaillon solle er drücken, hatte ihm eine Stimme in seinem Kopf zugeflüstert, dann würde sich alles aufklären und alle Probleme würden gelöst werden. Die Stimme hatte tief und Vertrauen erweckend auf Frank gewirkt. Sie gehörte zu einem Gesicht, an das sich Frank nun vage wieder erinnerte: ein etwa sechzig Jahre alter, vollbärtiger, väterlich wirkender Mann; seine Augen blinzelten freundlich hinter einer Brille mit viel zu großen Gläsern.
»Wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.«
Wieder dachte er an Claire.
Sollte er jetzt nicht bei ihr sein?
Wer weiß, was mit ihr just in diesem Augenblick geschah?
Nein, er würde Geduld haben und warten.
Die überstürzte Aktion vom Vorabend hatte Wiegand nur vorsichtiger gemacht. Genutzt hatte sie weder ihm noch Claire.
Es galt, vorsichtiger zu sein, und besonnener.
Zu dem Vogelgezwitscher, das außerhalb der Kirche den neuen Tag fröhlich empfing, gesellte sich ein neuer Ton. Er war zwar leise, doch war er ausreichend disharmonisch, um Franks stille Andacht zu stören: Es knarrte aus Richtung des Kirchenportals. Plötzlich erhellte sich das Kirchenschiff und das nun ungezügelt

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