Alles Boese mir vergib
so wie sie, wenn ich ein Mädchen wäre. Vielleicht.
Als sie in mein Zimmer kam, zwickte sie ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sie war wegen etwas anderem gekommen, sah aber sofort, dass es mir mies ging.
„Was ist los?“
„Nichts“, antwortete ich. Sie setzte sich rittlings auf meinen Schreibtischstuhl.
„Hast du was genommen? Ist es das?“
„Nein, verdammt. Mir geht’s gut.“
„Machst du gerade ’ne schwere Phase durch?“ Ich antwortete nicht.
„Wir machen doch alle eine schwere Phase durch, oder?“, sagte sie. „Wir versuchen, die ganze Kacke am Laufen zu halten. Vielleicht das Glück zu haben, am Ende etwas zu tun, das einem gefällt. Mama rudert herum. Ich rudere herum und vermassle alles.“
„Das liegt bei uns wohl in der Familie“, meinte ich.
„Ha. Ja. Das stimmt.“ Sie wühlte in meinen CDs und suchte The Tings Tings heraus. Natürlich zappte sie zu dem Hit Shut Up And Let Me Go , weil meine Schwester immer Hits hören muss.
„Wir haben morgen Geburtstag. Ist dir klar, oder?“ Ich vergesse unseren Geburtstag immer. „Mama und Papa haben was Leckeres zu essen gekauft und wir werden Geschenke kriegen und den ganzen Kram. Wir feiern nur mit der Familie, die anderen sind alle in Urlaub.“
Sie lächelte und ließ die CD-Hülle auf das Bett fallen. Das half. Ich bekam meine Krise etwas besser in den Griff.
Im Großen und Ganzen war es ein netter neunzehnter Geburtstag. Meine Eltern vertrugen sich, mein Vater zwickte meine Mutter in den Hintern und sie stieß einen Schrei aus und wurde ein bisschen sauer, aber nicht richtig, und der Tisch war hübsch gedeckt. Am Morgen hatte ich von Sandra ein Limited-Edition-Shirt von FCUK mit einem krassen Motiv von Heath Ledgers Joker geschenkt bekommen. Ich hatte ihr ein dezentes langärmeliges Shirt besorgt, über das sie sich überraschenderweise freute. Unsere Eltern schenkten Sandra einen Haufen Make-up, und ich bekam einen Gutschein für einen Plattenladen. Es ist nicht leicht, etwas zu finden, was mir gefällt. Aber dann kam Joakim. Er schenkte Sandra eine Goldkette mit einem herzförmigen Anhänger und sie kreischte vor Freude, und auch meine Mutter kreischte ein bisschen. Wie immer konnte ich Vaters Blick nicht einfangen, wenn Joakim in der Nähe war. Als er ihr die schön eingepackte Schachtel gab, hörte ich ihn „Entschuldigung“ flüstern. Und sie lächelte und küsste ihn, bevor sie gierig das Papier aufriss.
Ich bekam eine SMS von Liv und eine von Mateus. Ich schrieb beiden zurück, dass Sandra und ich abgemacht hatten, an einem Wochenende im August eine gemeinsame Party zu geben – und dass die Geschenke bis dahin warten konnten.
Ein paar Tage darauf packte meine Mutter das Plastikservice in eine große geblümte Tasche. Und ein paar weitere Tage später – war das Ganze wieder ausgepackt. Mein Vater hatte das Haus nicht explizit gemietet, und es stellte sich heraus, dass der Typ es selber nutzen wollte.
„That’s how it goes“, sagte mein Vater und lächelte sein kleines, schiefes Lächeln. Ich war froh, Sandra war froh. Das Verhältnis unserer Eltern war wieder einmal so eisig wie der Arsch eines Rieseneisbärs.
Also hing ich stattdessen am Basketballplatz ab, wo Sune und ein paar seiner Freunde mir fast den kompletten Vorrat an Pot abkauften. Tobias war auch da. Er begnügte sich mit einem Grinsen und einem anerkennenden Kopfnicken. Mateus sah ich nicht, da er mit Veronica eine Last-Minute-Reise nach Mallorca machte.
„Echt toll, sie kann so spontan sein!“, meinte er. Und plötzlich flog Liv auch noch mit ihren Eltern für zwei Wochen nach L.A.
So eine Scheiße. Mateus flog an den Strand. Liv in die USA. Ich rief Borste an und fragte, ob ich noch mehr Pot haben könnte.
„Komm doch nachher zum Abendessen vorbei“, sagte er. Und so war ich – zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit – auf dem Weg nach Ishøj.
Borste stand in der Küche und bereitete Spaghetti bolognese zu, als ich ankam.
„Vivian – das ist Nick.“
Borstes Ex rauchte am offenen Fenster. Sie war blond, sonnengebräunt, hatte vielleicht ein paar Kilo zu viel auf den Rippen und hellblaue Augen. Sie lächelte, als sie mich sah, und gab mir die Hand.
„ GINGER! KOMM HER UND SAG NICK GUTEN TAG! “
Das Geräusch trippelnder Füße. Ein kleines Mädchen tauchte in der Küchentür auf. Sie lief zu ihrem Vater und versteckte sich zwischen seinen Beinen.
„Sei doch nicht so schüchtern“, sagte er. Sie trat vor, lachte und
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