Alles Boese mir vergib
bei mir zu Hause angekommen, rief ich Mateus an und sagte ihm, dass er sofort 5000 Kronen haben konnte.
„Hast du das beim Dealen verdient?“, fragte Mateus, der noch auf dem Campingplatz war. Veronica und er waren bei Muse gewesen, dem letzten Act auf dem Festival.
„Ja, so ungefähr.“ Ich hörte im Hintergrund das Geräusch eines Zeltreißverschlusses, dann Veronica, die fragte: Wer ist das? Wo willst du hin?
„Woher hattest du denn das ganze Gras?“, fragte er. Er klang wütend.
„Von einem Bekannten.“ Borste konnte ich beim besten Willen nicht erwähnen.
„Das klingt gefährlich, Nick.“
„Ach was, ist doch nur Gras. So was bauen die Leute in ihren Gärten an.“
„Aber nicht in deinem Garten, oder? Kennst du irgendeinen Dealer?“
„Nein, der ist voll in Ordnung.“
„Hm. Aber was dieses Geld angeht, das ist …“
„Willst du es oder nicht?“
„Ja, klar. Ist gut. Sagen wir, damit sind wir quitt.“ Aber das stimmte nicht. Ich schuldete ihm noch immer 15000 Kronen. Oder 14500, wenn man den Fünfhunderter abzog, den ich bekommen hatte, als ich die signierte Erstausgabe von Rifbjergs Unschuld verhökert hatte.
„Auf keinen Fall. Du kriegst den Rest, sobald ich ihn habe. Im Laufe des Sommers. Wann sehen wir uns?“
„Bald“, sagte er.
Meine Mutter packte gerade eine große Einkaufstüte aus, als ich in die Küche kam.
„Denkt ihr auch langsam mal ans Packen?“, fragte sie, während sie den Inhalt der Tüte – Plastikbesteck, Plastikteller und Becher – auf dem Tisch stapelte.
„Wofür?“, fragte ich.
„Nick, du Dummerchen. Für das Ferienhaus. Wir fahren am Freitag. Dein Vater hat alles organisiert. Wir mieten das Haus von einem seiner Kollegen aus der Bar.“ Ach ja, verdammt. Da war doch was, stimmt, eine Woche in einem Ferienhaus in Ellinge Lyng. Der Gedanke daran versetzte mich nicht gerade in Freudentaumel, aber weil ich mit meiner Mutter gerade ziemlich auf Kriegsfuß stand, war es besser, keinen Einspruch einzulegen. Wenn sie mich am Grill stehen sah mit Marinaden, Gewürzmischungen, Aluschalen und der ganzen Kacke, würde sie wieder stolz auf mich sein. Und ich hatte ja nicht gerade ein volles Programm für die kommenden Tage.
„Ja, Mensch. Hast du Alufolie gekauft?“ Ich zwinkerte ihr zu und sie strahlte.
Ich steckte ein paar Pottütchen ein und ging raus. Als ich die Tür öffnete, wäre sie mir um ein Haar ins Gesicht geflogen. Es wehte wie verrückt und ich bekam plötzlich keine Luft mehr.Mein Hals schnürte sich zu. Das dauerte vielleicht fünf Sekunden, aber es fühlte sich länger an. Ich ging wieder hinein und füllte meine Lungen mit Sauerstoff. Irgendwas stimmte nicht. Ich ging die Treppe hoch und legte mich ins Bett. Mein Puls wollte nicht runtergehen. Ich zitterte und schwitzte. Ich holte tief Luft, saugte sie so tief ein, wie ich konnte, und hielt sie an. Um nicht zu ersticken.
Sandra ist meine Zwillingsschwester. Wir leben in zwei verschiedenen Welten, schon immer. Als wir klein waren, schwebte Sandra im siebten Himmel, wenn wir in den Urlaub flogen. Sie liebte Hotelsofas, Pools und Restaurantbesuche. Ich dagegen wollte lieber Ausflüge machen und mit Einheimischen Schnorcheln gehen und langweilte mich ansonsten zu Tode. Wenn wir bei meinen Großeltern im Schrebergarten waren, glich sie einem Löwen im Käfig, während ich wie ein Fisch im Wasser war. Zu Weihnachten bekam sie Barbiepuppen. Ich ein Fahrtenmesser. Sandra ist in der Lage, mich so sehr auf die Palme zu bringen, dass es mir aus den Ohren raucht. Sie tanzt auf den Tischen, trinkt die Tequila-Vorräte in den Bars leer und gibt Blowjobs auf den Toiletten. Einmal war sie so wütend auf mich, dass sie mir eine gebrauchte Binde hinterherwarf. Es fällt mir schwer zu verstehen, dass wir uns trotzdem so gleichen, aber es war schon immer sehr deutlich, dass wir … Zwillinge sind. Man erkennt es an den kleinen Dingen. Wir machten immer unsere Spielsachen kaputt. Wir verschlangen immer sofort alle unsere Süßigkeiten, anstatt sie uns einzuteilen. Und ich weiß immer genau, wie es ihr geht. Immer. Ich wusste, wie traurig sie über ihre Noten war. Ich wusste – sobald ich erfahren hatte, dass sie mit Jonathan zusammen gewesen war –, dass sie in ihn verliebt gewesen war. Und ich wusste, dass sie nicht in Joakim verliebt war. Das machte die ganze Geschichte nur noch unerträglicher. Und genau wie ich brannte Sandra ihr Lebensfeuer auch mit höchster Geschwindigkeit ab. Vielleicht wäre ich
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