Alles Boese mir vergib
konntest nichts dagegen machen. Das kann passieren.“ Er war bleich und schwitzte. Genau wie damals, als ich sein Gefangener gewesen war.
„Ich kann dir das Geld wieder besorgen“, versicherte ich rasch. „Ich kann 40000 besorgen. Ich suche mir einen Job. Du kriegst die Kohle.“
„Kannst du nicht … Kannst du nicht schauen, was du jetzt schon zusammenkratzen kannst?“, bat er mich. Vorher war ich kurz zu Hause gewesen. Mein Vater war gerade unterwegs, um sich einen Job zu suchen. Meine Mutter war bei der Arbeit. Allerlei Gedanken wirbelten mir plötzlich im Kopf herum. Mir erging es wie einem Löwen, der in einer Zebraherde auf der Jagd war. Alles flimmerte. Außer dem Gefühl, dass überall nur Probleme lauerten, war nichts scharf zu erkennen.
Borste verabschiedete mich mit einer festen Umarmung. Ich lief hastig zum Zug. Zuvor hatte ich zehn Mal versucht, Liv anzurufen, aber sie hob nicht ab. Ich konnte hören, dass sie michjedes Mal wegdrückte. Die ersten beiden Male hinterließ ich noch eine Nachricht auf ihrem AB, danach sparte ich mir die Mühe. Auf dem Nachhauseweg entdeckte ich beim Bäcker am Hauptbahnhof einen Aushang im Schaufenster.
MITARBEITER ÜBER 18 FÜR 37 WOCHENSTUNDEN GESUCHT
Besser als nichts. Und plötzlich, mitten in diesem ganzen Salat, saß ich in einem Hinterzimmer und wurde von einer älteren Dame mit bunter Brille verhört. Erfahrung? Hmmm. Momentane Beschäftigung? Gerade das Gymnasium beendet. Das war gelogen, passte aber zum Alter, da ich die Zehnte ja zweimal gemacht hatte. Jonna, die Frau, mit der ich sprach, sah skeptisch aus.
„Kannst du morgen anfangen?“, fragte sie.
Und somit begann ich nach einer langen schlaflosen Nacht meine erste Schicht in der Bäckerei. Ich lernte, wie man die Kasse bediente, und stand mit Vicki hinter dem Tresen. Sie war dreiundzwanzig und erst vor Kurzem aus Afrika zurückgekehrt. Das Allererste, was mir an ihr auffiel, war, dass sie lustig war. Total lustig. Nach sieben Stunden hätte ich ihr noch ewig zuhören können, aber meine Schicht war um. Hundert Kronen pro Stunde, plus Abend- und Wochenendzuschlag. Wenn ich keine einzige Krone ausgab, konnte ich meine Schulden bei Borste vielleicht in drei Monaten zurückzahlen.
Im Laufe der nächsten Woche hörte ich nichts von Borste. Zu Hause war alles beim Alten. Joakim kam nur hin und wieder zu Besuch, und ich sah zu, dass ich dann nicht da war. Ich freute mich auf die Arbeit. Und am Ende der Woche spürte ich sogar erste Anzeichen von Routine. Dreimal hatte ich mit Vicki Schicht. Ich bekam ein Lob von Jonna, die von Vicki wegen ihrer bunten und eckigen Brille Dame Edna genannt wurde. Überhaupt waren wir total auf einer Wellenlänge. Wenn keine Kunden im Laden waren, führte Vicki beispielsweise vor, warum Oralsex anstrengend war, indem sie sich eine Knackwurst so tief in den Mund schob, dass sie sich fast übergeben musste. Ich testete dasselbe mit einer Karotte. Außerdem verarschten wir zusammen die Kunden. Irgendwann einmal gab ich einem norwegischen Geschäftsmann falsch heraus, und er verlangte, mit der Chefin zu sprechen. Vicki marschierte herbei, brüllte mich an und beschimpfte mich als dreckigen Köter. Es ist schwer zu erklären, aber bei uns ergab ein Wort das andere. Und wieder einmal schmolz ich dahin. Vielleicht war das mein großes Problem.
Unterdessen bereiteten Sandra und ich die offizielle Feier zu unserem neunzehnten Geburtstag vor. Ich dachte die ganze Zeit an Carl-Philip, wusste aber nicht, was ich tun sollte, da Liv nicht ans Telefon ging. Ich stellte ihn mir mit Schaum vor dem Mund vor, während Defibrillatoren auf seiner Brust Strom durch den Körper jagten. Psychosen, weinende Eltern. Die Beerdigung – und was für eine. Alle Klassenkameraden und Lehrer weinten, weil ich ihn umgebracht hatte. Hatte ich das? Hatten die beiden windigen Junkies ihm etwas weiterverkauft? Ich war echt nicht in Feierlaune. Wollte nur noch arbeiten und schlafen. Ich hatte noch mehr Schichten zugeteilt bekommen. Aber Sandra hatte den Turbo eingeschaltet. Hinz und Kunz waren eingeladen. Sie erstellte Einkaufslisten und bat Freundinnen, ihr zu helfen. Zwischendurch regte sie sich hin und wieder über meine mangelnde Begeisterung auf. Ich hatte niemanden eingeladen. Wollte nicht einmal Mateus oder Liv fragen, weil keiner der beiden auf meine Anrufe reagierte, und mein Stolz verbot mir, mehr in diese Richtung zu unternehmen. Carl-Philip geisterte weiterhin in meinem Kopf herum, wie ein
Weitere Kostenlose Bücher