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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Ressource für Hirn und Nerven. Und es ist lächerlich, die Konzentration über Diätmaßnahmen beeinflussen zu wollen, dazu gibt es Studien …«
    Er war lauter geworden, als er beabsichtigt hatte. Sie seufzte so laut, dass er es hören konnte, und nahm sich aus dem Korb ein Dinkelbrot, legte eine Scheibe Bioputenschinken drauf.
    »Reg dich nicht auf«, sagte sie und schwieg.
    Es passte ihm nicht, dass dieser Misston eingekehrt war. Sie führten die Cholesterindebatte in regelmäßigen Abständen; ausgelöst wurde sie durch ihn selbst, wie er wohl wusste. Er hätte sich bei der Butter zurückhalten sollen. Das war provokant. Aber warum hatte er sie so dick aufgestrichen? Weil seine Frau diese Sache ins Spiel brachte, von der er nichts wissen wollte. Nicht die Sache direkt, aber auf dem Umweg über ihre Freundin Maria, die wochenlang abgetaucht und erst nach dem Verschwinden ihres Mannes wieder aufgetaucht war – einen Tag danach!
    »Sie haben mir sogar gratuliert!«, sagte Hilde. »Nicht offiziell natürlich. Aber sie haben gesagt, dass ich das Herz auf dem rechten Fleck habe und das getan habe, was sie nicht tun können, weil ihnen die Hände gebunden sind …«
    »Was meinen die damit?«
    »Dass ich Maria versteckt habe! Das kann die Polizei nicht machen.«
    »Ach so.«
    Galba beruhigte sich. Er wollte zu Hause nicht an diese andere Sache denken, in die er verstrickt war. Seit seinem Helga-Geständnis wurde nicht mehr davon gesprochen. Nicht über Helga, nicht über den verschwundenen Mathis. Hopfner war ein Grenzfall. Galba wollte nicht daran denken, was all dies bedeutete. Er wollte zu Hause seine Ruhe. Er hatte eine Zeitlang erwogen, davonzulaufen, ein neues Leben anzufangen. Bloß wo? Das war alles nicht so einfach. Hilde war seine Frau, die Mutter seiner Töchter, sie bot ein Heim, jawohl. Wo sollte er denn hin? Raus aus dem Haus in eine Zweizimmerbude wie die anderen Scheidungskrüppel?
    Wenn er zu Hause war, dachte er so. Im Büro dachte er anders. Dort trachtete er danach, den ganzen Wahnsinn zu beenden. Irgendwie. Irgendwie musste das doch gehen. Ohne seine Familie zu zerstören, das Leben seiner Frau, seiner Töchter, sein eigenes. Wie bei einer Denksportaufgabe … Zeichnen Sie die Figur mit einem Bleistift in einem Zug durch, ohne abzusetzen! Sie dürfen keine Linie zweimal verwenden … Natürlich ging das irgendwie. In der nächsten Nummer der Zeitung stand die Lösung. Es ging. Mit einigem Nachdenken kam man auch drauf. Man musste sich nur Zeit nehmen. Es war ein Problem, also gab es eine Lösung.
    Wenn er nach Hause kam, herrschte eine andere Wirklichkeit. Hilde war wie immer. Sie besorgte den Haushalt, richtete das Essen. Wenn er nach Hause kam, konnte er sich nicht vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern sollte. Warum auch? Er musste nur verhindern, dass sich die beiden Wirklichkeiten in die Quere kamen, die im Büro und die zu Hause. Die beiden Arten, die Sache zu sehen, diese Sache … Das gelang gut, wenn er die einen Gedanken nur im Büro hegte, die anderen nur zu Hause. Über Cholesterin. Grilleinladungen.Solche Sachen. Die Tabletten halfen auch. Sie nahmen die Emotion aus der Sache. Die Emotion war sowieso überflüssig. Ohne Tabletten hätte er nicht so lang durchhalten und die Wirklichkeiten trennen können.
    »Woran denkst du?«, wollte sie wissen.
    »An nichts Bestimmtes«, sagte er.
    »Dann ist es ja gut«, sagte sie und lächelte.
    Er trank sein Bier aus. Alles würde gut werden. Positives Denken war wichtig. Schon deshalb, weil ihm sonst nichts übrigblieb.

    *

    »Kranz hier, Ingomar Kranz. Ist Inspektor Weiß zu sprechen?«
    »Chefinspektor Weiß.«
    »Ah ja. Wie kann ich ihn erreichen?«
    »Am Apparat.«
    »Herr Chefinspektor, ich hätte da ein paar Fragen an Sie …«
    »Über Ermittlungen? Da müssen Sie sich an unsere Pressestelle wenden, wir können nicht mehr selber …«
    »Nein, nein, es sind keine Ermittlungen von Ihnen, sondern von mir. Ich brauche Sie für eine Auskunft.«
    »Worüber?«
    »Es gibt da ein Video …«
    Schweigen. Längeres Schweigen.
    Ingomar Kranz hörte ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. »Wo treffen wir uns?«, fragte er.
    »Ich würde sagen, wo ein Videorekorder steht.« Nathanael Weiß lachte.
    »Kommen Sie heute Abend einfach zu mir«, sagte Kranz.
    »Ach, nicht in den Sender? Und nicht gleich?« Der Hohn indiesen Fragen war deutlich zu hören. Kranz ärgerte sich nicht, er wunderte sich nur. Woher kam dieses Selbstbewusstsein des

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