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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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einer tiefen Verstörung, einer seelischen Krise sogar. Bei Ingomar war das nicht der Fall, er hatte all das, was er da zu sehen bekam, erwartet. Erwartet in der festen Überzeugung, dass es irgendwo auf der Welt geschehe, von Menschen an Menschen durchgeführt werde. Dabei war ihm ein merkwürdiges Detail aufgefallen: Noch fünf Minuten vor dem Ereignis, hätte man, wenn Äußerlichkeiten wie Kleidung und Adjustierung unberücksichtigt blieben, nicht sagen können, wer die Opfer und wer dieTäter waren. (Hinterher fiel das nicht schwer.) Diese Erkenntnis tröstete Ingomar über seinen eigenen Zustand hinweg. Das Böse steckte von Geburt an in allen Menschen, also auch in ihm selber, und es bedurfte keiner komplizierten psychologischen Erklärungen, warum ihm, der als Kind nie verprügelt und nie missbraucht worden war, solche Dinge einfielen, lange, bevor er sie auf schlecht belichteten Videos aus Afrika sah.
    In Hinsicht menschenverachtender Grausamkeit und so weiter bot die Sequenz, die er auf dem Computer betrachtete, nichts, aber auch gar nichts. Die Disk trug keine Beschriftung, der Umschlag, in dem sie steckte, nur seinen Namen und die Adresse des Senders. Er war mit der Post gekommen.
    Erst hatte er Mühe, zu erkennen, worum es sich beim Dargestellten handelte, dann begriff er die Perspektive. Das Geschehen war aus mehreren Metern Höhe aufgenommen worden. Das Licht schwach, man konnte kaum erkennen, was sich unter der Kamera abspielte. Zwei Akteure zerrten einen länglichen, weißen Gegenstand über den Rand eines Trichters, an dessen Grund sich zwei Spindeln drehten. Ingomar Kranz war nicht sicher, ob man »Spindel« zu diesen Dingern sagte, er müsste das überprüfen; sie glichen den drehbaren Teilen in einem Fleischwolf, nur waren es eben zwei, die sich ineinander drehten. Dass alles grau in grau aussah, schob er auf die schlechte Beleuchtung, es lag aber nur am Farbton der Wände und des Bodens unter der Kamera. Sie konnte sehr wohl Farben aufnehmen, das sah er, als das Paket in die Spindeln hineinrutschte, da blühte es rot aus dem Grunde des Trichters, spritzte empor, schwer und nass. Nach ein paar Sekunden kam das Metall wieder zum Vorschein, rotgefleckt glänzend, eine der Figuren nahm einen Schlauch und spritzte die Apparatur sauber, die Trichterwände, die rotierenden Teile, dann schaltete sie ab, die Spindeln standen still. Die beiden Figurenverließen den Schauplatz, es wurde dunkel, und der Film war aus.
    Die Szene hatte zwei Minuten und fünf Sekunden gedauert. Ingomar Kranz starrte auf die Zeitanzeige des Rekorders, drückte wieder auf »Cut 1« und sah sich alles noch einmal an, und noch einmal. Ein halbes Dutzend Mal. Erst dann glaubte er, was er gesehen hatte. Ein menschlicher Körper war in einen monströsen Fleischwolf geworfen worden. Zermahlen, zerhäckselt, zu Brei gemacht. Jemand hatte die Szene mit einer Webcam aufgenommen, hoch oben montiert und mit der Innenbeleuchtung gekoppelt. Wenn man das Licht anmachte, startete die Aufnahme.
    Anton Galba ließ sich Zeit. Er wartete bis zum Abend und rief Kranz zu Hause an. Kranz war wortkarg. Er sei beeindruckt, sagte er. Weiter nichts. Was er denn jetzt unternehme, wollte Galba wissen. Das Nötige, sagte Ingomar, darauf könne Galba sich verlassen. Erst an dieser Stelle des Gesprächs merkte Galba, dass der Journalist immer noch unter Schock stand. Ich hab es übertrieben, dachte er, ich hätte ihn vorwarnen sollen – aber: Ich hab ihn ja vorgewarnt, ich hab ihm alles vorher erzählt, er hat es nur nicht geglaubt …
    Kranz versprach, Galba auf dem Laufenden zu halten und legte auf. Anton Galba fuhr nach Hause, ging in die Küche und setzte sich an den gedeckten Abendbrottisch. Hilde war guter Laune, erzählte vom Besuch bei einer Freundin.
    »Maria geht es wieder gut«, sagte sie. »Richtig aufgeblüht. Die drei Wochen in unserer Hütte haben ihr gutgetan.«
    »Mich wundert nur, dass diese Rückkehr so ohne Schwierigkeiten …«
    »Du meinst, weil sie vermisst gemeldet war? Ach, das haben die schon verstanden. Ich hab einfach erzählt, wie es war …«
    »Wer die ?«
    »Auf der Polizei. Wir sind gemeinsam hingegangen, ich hab ihnen gesagt, dass ich sie versteckt hab, und aus. Kein Problem.«
    Anton Galba bestrich sich eine Scheibe Schwarzbrot mit Butter. Dicker als sonst.
    »Du solltest vielleicht nicht so viel … Denk an deinen Cholesterinspiegel.«
    »Das meiste Cholesterin erzeugt der Körper selbst! Es ist eine lebensnotwendige

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