Alles Fleisch ist Gras
Inspektors? Entschuldigung: Chefinspektors.
»Nein, nicht gleich.« Er gab dem Polizisten die Adresse.
Um neunzehn Uhr klingelte es bei Kranz. Er ließ den Polizisten herein. Weiß war in Zivil. Es wurde nichts gesagt, Hände wurden nicht geschüttelt. Kranz nickte nur und ging voraus ins Wohnzimmer. Die DVD war schon eingelegt, es blieb nur, auf den Knopf der Fernbedienung zu drücken. Eine so banale Geste, dass sie auch nicht mit großer Anstrengung pathetisch aufgeladen werden konnte – obwohl doch diese harmlos alltägliche Bewegung das Ende des Mörders Nathanael Weiß bedeuten sollte und den Anfang der Aufdeckung des beispiellosen Polizeiskandals, in den weit mehr Personen verstrickt sein würden, als erst angenommen … So dachte Ingomar Kranz und merkte, wie ihn das Interesse verließ. Nein, nicht das Interesse. Die Glut, die Leidenschaft. Das Video lief und war langweilig. Er hatte es zu oft gesehen. Es war jetzt alles so klar. Konfrontation, lächerliche Leugnungsversuche, Zusammenbruch. Der Mann auf dem Video saß neben ihm. Er flößte keine Furcht ein. Ein Beamter. Warum hatte er ihn herbestellt? Das war nicht die normale Vorgangsweise. Dafür musste es einen Grund geben, er fiel ihm nicht ein … ein vages Interesse nicht an dem Opfer. Sondern am Täter. Den Tätern. Wer war die Frau?
»Schön scharf«, sagte Weiß, deutete auf den Bildschirm.
»Sie leugnen nicht, dass Sie das sind?«
»Wie denn, man sieht es doch!«
»Und die Frau?«
»Eine Bekannte …«
»Aha«. Ingomar Kranz hatte den Faden verloren. Das Gespräch verlief nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte.
»Bleibt noch die Person in dem weißen Paket, ein paar Bettbezüge übrigens. Das ist nämlich kein Schaf, wenn Sie das denken – und es handelt sich definitiv nicht um fünfzig Kilo Tomaten!« Nathanael Weiß lachte brüllend los, so laut, dass Ingomar zusammenzuckte. Kranz lachte nicht. Weiß zog ein geblümtes Taschentuch heraus und wischte sich die Augen.
»Wer ist es dann?«
»Der Mann heißt – hieß Konrad Mugler.«
» Der Mugler?«
»Der nämliche …«
»Sie können mir viel erzählen …«
»Das ist wieder typisch! Wenn ich sage, der heißt Anastasius Pimpelhuber und ich hab ihn reingeschmissen, weil wir uns seit fünfzehn Jahren um ein Wegerecht streiten, dann fresst ihr das, dann wird nicht einmal nachgefragt! Aber Konrad Mugler, der lokale Syndikatchef, das glaubt kein Mensch … Eine private Fehde, möglichst skurril, ja, das geht. Aber eine große Sache, staatspolitisch bedeutend – das traut man einem kleinen Landpolizisten nicht zu. Sehr kränkend ist das, wissen Sie?« Er öffnete die abgewetzte Aktentasche, die er mitgebracht hatte. Heraus nahm er nicht eine Pistole, wie Ingomar Kranz einen winzigen Augenblick lang erwartet hatte, sondern einen Stoß Papiere. Kranz nahm sie entgegen. Bankunterlagen. Wenn sie echt waren, hatte Herr Mugler innerhalb kurzer Zeit sein Riesenvermögen an karitative Organisationen gespendet.
»Ich habe nicht gewusst, dass dieser Mugler so ein Philanthrop ist … war.« Es sollte ein Witz sein. Diesmal war es Weiß, der nicht lachte.
»Ein Menschenfreund. Ich meine, dass er Menschenfreund war …«
»Mir ist durchaus klar, was das Wort heißt. Glauben Siedenn, Sie waren der Einzige mit Griechisch in der Schule? Das ist übrigens der Grund, warum Ihr Journalisten in jedem Beliebtheitsranking immer ganz hinten rangiert! Diese Arroganz … Und Mugler war kein Philanthrop. Er hat diese Spenden erst nach … intensiver Überzeugungsarbeit meinerseits getätigt.«
»Was Sie nicht sagen! Und dann?«
»Ist er verstorben.«
»Ah ja.« Kranz stand auf. »Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
»Ein Kaffee wäre nicht schlecht.«
»Jetzt noch? Da könnt’ ich nicht mehr schlafen …«
»Mir macht das nichts.« Kranz ging zur Küchenecke hinüber und schaltete die Saeco ein.
»Es gibt einen einfachen Trick«, sagte Nathanael Weiß. »Sie dürfen nichts reintun!«
»Wo rein?«
»In den Kaffee. Keine Milch, keinen Zucker, schwarz trinken. Dann macht er einem nichts …«
»Tatsächlich?« Ingomar Kranz ertappte sich dabei, wie er über den Wahrheitsgehalt dieser Aussage nachdachte. Konnte das sein? Ohne Milch, ohne Zucker … Er sollte über andere Dinge nachdenken, die viel wichtiger waren … aber er konnte sich nicht konzentrieren. Nicht ums Verrecken.
»Kann etwas Stärkeres rein in den Kaffee?«, fragte er.
»Wenn Sie was haben, immer zu!«
»Brandy.«
»Klingt
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