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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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naturnahen Gebiet natürlich). In Wahrheit war es so, dass der Kollege Fimberger, gegen den sich sonst nicht das Geringste sagen ließ, den anderen Mitarbeitern mit seinem Naturheilfimmel auf die Nerven ging; der rote Schal war einKennzeichen der Debatte, die allerdings ganz allein von Fimberger bestritten wurde. Seine Umgebung ließ es über sich ergehen.
    So kam es, dass Galba bei einer Kontrolle des Überwachungsvideos aus der Blechhütte ein schwer erklärbares Verhalten des Kollegen Fimberger auffiel: Obwohl er schon seit Tagen an einer hartnäckigen Erkältung laborierte (die erste Herbstnacht hatte sie mitgebracht) und deshalb nur mit rotem Schal unterwegs war, legte er den Schal ab, sobald er die Blechhütte betrat – nein, er entfernte ihn schon draußen, denn wenn er mit einer Tonne Abfallfleisch ins Blickfeld der Kamera geriet, hatte er seinen Schal schon abgelegt. Warum tat er das? Er trug ihn doch sogar im Büro; in der Blechhütte war es kein Grad wärmer als im Freien, der Wind pfiff durch die Ritzen. Sonst sah Fimberger aus wie immer: Er trug den blauen Overall, die berüchtigte Tonne, im internen Jargon Suppentopf genannt (sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit einem solchen), war auch dieselbe. Nur den roten Schal hatte er abgelegt. Fimberger war eindeutig zu identifizieren … Galba war im Begriff, Fimberger zu fragen, warum er ohne Schal in die Blechhütte ging. Galba fragte nicht.
    Er ließ die Arme über die Lehne des Bürostuhls hinabhängen, die Beine rutschten weit unter den Schreibtisch, er selber im Stuhl immer weiter nach vorn, er hatte das Gefühl, alle Kraft sei ihm wie Wasser aus den Gliedern geronnen, nur die Reibung hinderte seinen Körper, auf den Boden zu rutschen wie ein Sandsack. Er atmete schwer. Das machte die Erkenntnis, die ihn getroffen hatte. Nicht wie ein Blitz (so heißt es ja oft), sondern wie ein Keulenschlag. Diese Keulenschlagerkenntnisse sind jene, auf die man gern verzichtet hätte – sie bringen einen nicht weiter, nur runter. Ganz tief.
    Denn das Unterscheidungsmerkmal zwischen einem Fimbergermit und einem Fimberger ohne Schal war die Zeit. Die erschien zwar im rechten unteren Eck des Bildschirms, aber dort konnte man alles Mögliche erscheinen lassen. Das Bhagavadgita, den 23. Psalm und eben jedes Datum und jede Uhrzeit vor und nach Christi Geburt. Jetzt stand dort eben das Datum des Vortages. Er hatte alles geglaubt wie ein Kind.
    Fimberger dachte gar nicht daran, seinen Schal abzulegen, wenn er die Blechhütte betrat. Warum hätte er es tun sollen? Ergo entsprach einem Fimberger ohne Schal in der Hütte derselbe Fimberger ohne Schal im Freien – er trug den verdammten Schal oder er trug ihn nicht, so einfach war das; und wenn ihn die Kamera in der Hütte ohne Schal zeigte, während ihn die Netzhäute Galbas und aller Angestellten mit Schal wahrnahmen, dann lag es einfach daran, dass die Aufnahme aus einer Zeit stammte, als Fimberger ohne Schal unterwegs war. Auch ganz einfach. Der Kärntner ohne Schal war statistisch auch viel häufiger als derselbe mit. Dass der gesunde und der kränkelnde Fimberger sich optisch unterschieden, konnte ein Außenstehender nicht wissen, der die Computerfiles der Aufzeichnung manipulierte. Und ein File aus glücklicheren Tagen für jene Nacht einfügte, in der … etwas anderes als Schlachtabfälle in den Trichter geworfen worden war. Diese Person musste Zugang zum Gelände, zur Hütte, Zugang zum Büro, zum Computer haben. Zugang zu allem. Diese Person könnte den Betriebsablauf der ARA sabotieren, falsche Zahlen einfügen, Messgeräte manipulieren – aber den Gedanken verwarf er: Davon hätte man im täglichen Betrieb etwas merken müssen. Die Person, um die es hier ging, hatte kein Interesse, die Abwasserreinigungsanlage Dornbirn zu stören, ihr ging es nur darum, einen kleinen Teil der Anlage für eigene Zwecke zu nützen.
    Anton Galba zog sich im Sessel hoch. Er war sicher, ihmwürde nichts passieren. Beim Hochziehen des Körpers fiel ihm das ein. Wenn er nicht sicher wäre, säße er gar nicht mehr in diesem Sessel, schon lang nicht mehr. Sondern schwämme (oder heißt es schwömme ?) – er ertappte sich beim halblauten Reden, zum Glück war die Bürotür zu … irrealer Bedingungssatz der Gegenwart, wahrscheinlicher Konjunktiv schwömme … schwömme oder schwämme, wie auch immer – schon geraume Zeit, in unidentifizierbare Fitzelchen zerrissen, zermahlen im Verein mit einer Masse genauso wenig identifizierbarer Reste

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