Alles Fleisch ist Gras
von Schweinen, Kühen, Ziegen und – ja doch – ein paar Menschen, im Gärturm 2 herum, zusammen mit der gesamten voroxidierten Scheiße der schönen Stadt Dornbirn!
Er begann nachzudenken. Gott sei Dank begann er zu denken, was das Gefühl der Panik bekämpfte, endlich besiegte.
Ja, kein anderer Schluss war möglich: Er war sicher auf diesem Stuhl. Und würde sicher sein bis zur Pensionierung. Seiner Pensionierung oder der von ihm. Aber bei dem war nicht sicher, ob er mit der Pension aufhören würde, Dornbirn zu läutern und zu bessern. Von diesem Augenblick an dachte er, wenn er an ihn dachte, nur das persönliche und besitzanzeigende Fürwort, er, ihm, ihn, sein, seines und so weiter, nicht mehr den Namen. Automatisch ging das, er musste sich nicht anstrengen dazu, sein Gehirn vermied, den Namen bewusst werden zu lassen, zu denken, geschweige denn auszusprechen.
Alles war sicher. Er selber, sein Posten, seine Familie. Warum? Ganz einfach: Es war viel bequemer so. Jedem anderen auf diesem Stuhl müsste man erst die Schlüssel abluchsen, keiner würde die so einfach hergeben, wie Anton Galba sie hergegeben hatte, um den Mord am Mitarbeiter Mathis zu vertuschen. Denn dieser Mord, das wollen wir nicht vergessen und auch nicht darüber streiten, ob das jetzt vielleichtdoch nur Totschlag gewesen ist – diese Tötungsaktion und das Verschwindenlassen der Leiche steht am Anfang der Ereigniskette. Und sie steht damit auch am Anfang der Kausalkette.
Mit der Erkenntnis, dass er sicher war, mit hoher Wahrscheinlichkeit, kam ein neuer Gedanke: was tun? Die Antwort war: nichts. Nichts zu tun, würde ihn nicht gefährden. Nichts zu tun, wäre allerdings einen Haufen andere Menschen gefährden. Nein, nicht gefährden. Zum Tode verurteilen. Und nicht nur zum Tode, sondern zum spurlosen Verschwinden. Das war vollkommen klar, es brachte nichts, sich darüber Illusionen hinzugeben. Andererseits, dachte er, sollten wir, wenn wir schon über die Sache nachdenken, begrifflich sauber bleiben!
Er stand auf, ging im Büro auf und ab. Er redete halblaut, die Verwendung der ersten Person Mehrzahl beruhigte ihn, das war nicht der pluralis majestatis , nur die Vorstellung einer Gruppe vernünftiger Menschen, die mit ihm in diesem Raum anwesend waren und gemeinsam über die Sache nachdachten; das gab ihm Sicherheit, dass er nicht allein war.
Was zum Beispiel heißt ein Haufen Leute ? Wie viele sind das denn? Ein Haufen evoziert eine Menge, eine Schar, deutlich mehr als eine Gruppe. Eine Gruppe kann man zählen oder zuverlässig schätzen, einen Haufen nicht. Ein Haufen füllt den Platz vor dem Gärturm 2 zum größten Teil; dort stehen sie stumm, sozusagen anklagend, und warten auf die Erfüllung ihres düsteren Schicksals. Aber so war es gar nicht! Er müsste seine … Wie sollen wir das nennen … Reinigungsquote? Läuterungsrate? … wie auch immer, sagen wir einfach: Eifer – also seinen Eifer müsste er beträchtlich steigern, wenn er auch nur in die Nähe der Bezeichnung Haufen kommen wollte.
Er blieb vor dem Büroschrank stehen, machte die Tür auf.Darin standen alte Akten, der Schrank war sein Archiv, er öffnete ihn selten. Im obersten Fach stand eine Flasche Obstler, keine Massenware aus dem Supermarkt, sondern das Erzeugnis einer Kleinbrennerei in Lustenau, der Mann hatte sogar eine Auszeichnung erhalten, Brenner des Jahres ; Galba nahm die Flasche heraus, ein Gläschen von dem Silbertablett daneben. Es war sein Schnaps für offizielle Anlässe, am Schluss von Führungen auswärtiger Delegationen, die wegen des famosen Düngers gekommen waren, wurde der prämierte Obstler serviert, wenn die religiösen Überzeugungen der Besucher das zuließen; für Muslime (immer häufiger kamen Besucher aus dem Nahen Osten!) hatte Dipl.-Ing. Galba noch keinen adäquaten Ersatz für einen würdigen Exkursionsabschluss gefunden, was ihn bekümmerte.
Jetzt schenkte er sich ein Stamperl ein und trank es aus.
Also: Rekapitulation, wo waren wir … ach ja, bei der Zahl, der Menge, beim rein Quantitativen … kein Haufen, das nicht. Mathis konnte man nicht zählen, der ging auf die eigene Kappe, war sowieso nur ein Unfall. Das erste sozusagen echte Opfer war der Bauunternehmer Stadler, gefolgt von Hopfner … Dann kam … Moment: das weiße Paket. Wer dort drin war, wusste Galba nicht. Das bekümmerte ihn. Er schenkte sich noch einen Obstler ein, trank ihn, diesmal in kleinen Schlucken.
Nach dem weißen Paket wurde es schwierig. Galba hatte
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