Alles Fleisch ist Gras
lange Spitze des Zabins trat jeweils bis zur Hälfte in die Hirnschale ein.
Der Fall erregte ungeheures Aufsehen, da man solche Bluttaten im Lande nicht gewohnt war. In Josef Mannhards Vorleben hatte nicht die kleinste Spur auf sein schreckliches Ende gedeutet, die Gerüchte, die zu wuchern begannen, übertrieben die finanziellen Schwierigkeiten, in denen er steckte, und lieferten gleichzeitig die Ursache, besser: Verursacherin seiner Probleme. Es war die Bank, die den Kredit fällig gestellt – aber eben nicht einen Tropfen in ein schon volles Fass, sondern sozusagen einen ganzen Eimer in ein Fass geschüttet hatte, das noch eine gute Handbreit Platz gehabt hätte. Aber wenn jemand so ein Fass zum Überlaufen bringen will , findeter Mittel und Wege, hieß es. Dieser Jemand war Direktor Baumann.
Baumanns Pech war, dass Josef Mannhard der dritte Sohn einer Familie mit sechs Kindern gewesen war, drei Söhne, drei Töchter, von denen zwei in Berufen mit starkem Publikumsverkehr tätig waren, ein Sohn bei der führenden Tageszeitung, eine Tochter in der Verwaltung der größten Gemeinde des Landes. Die Steuerung des Rumors in eine gewisse Richtung war eine Frage von Wochen, schuld an der Katastrophe der Familie Mannhard allein ein gewisser Direktor Baumann, so der öffentliche, nie mehr in Frage gestellte Konsens. Baumann kriegte, wie immer in solchen Fällen, von seiner negativen Beurteilung nichts mit, weil ihm seine Untergebenen in der Bank nicht mitzuteilen wagten, was sie am Stammtisch und beim Friseur, im Squash-Center und auf dem Vita-Parcour alles zur Causa Mannhard zu hören bekamen. Er hätte sich aber auch keine Sorgen gemacht, wenn er informiert gewesen wäre, denn zu jener Zeit kamen die ersten positiven Signale aus Wien, zaghaft noch, aber eben doch – dass seine Aktivitäten wahrgenommen und für gut befunden wurden. An dem Baumann könnten sich manche ein Beispiel nehmen, hatte es da auf einer Sitzung geheißen, wie er mit der weichen Welle Schluss gemacht habe, eine Bank sei kein Sozialverein und so weiter in diesem Ton. Die Erfolge würden nicht ausbleiben, in ein, zwei Jahren würde Baumann die Früchte seiner Bemühungen ernten, bis dahin galt es, nicht nachzulassen, sondern die Anstrengungen zu verdoppeln.
An dieser Stelle kam nun Gebhard Schlosser ins Spiel, dessen Anteil an den Ereignissen am besten mit einem Begriff aus der Chemie beschrieben werden kann: dem des Katalysators. Der ist einfach da und ermöglicht durch dieses bloße Dasein erstaunliche Reaktionen der Stoffe in seiner Umgebung. BeiGebhard Schlosser lag die katalytische Kraft in seiner Redebegabung. Er war nicht nur ein begehrter Redner bei Fasnachtsveranstaltungen, sondern Mitglied mehrerer Vereine, für deren Obmänner er die Reden zur Jahreshauptversammlung schrieb. Bei der Post, wo er im Innendienst arbeitete, kam dieses Redetalent nicht zur Geltung, dafür entschädigten ihn seine zahlreichen außerdienstlichen Aktivitäten. Dazu gehörte auch das Familienleben im weiteren Sinne, er besuchte seine zahlreichen Verwandten und ließ sich von ihnen besuchen, redete dort, hörte aber auch Neues, das er dann weitererzählte. Gebhard war von einer im Lande untypischen Offenheit, was sich schon an der Wahl der Partnerin ablesen ließ. Er hatte eine Deutsche geheiratet. Einmal im Monat besuchten sie seine Schwägerin, die auch im Lande Wurzeln geschlagen hatte, um Skat zu spielen. Das konnte hier kein Mensch, die Schwestern hatten es ihm beigebracht. Der Schwager besaß kein Talent zum Kartenspiel, aber für Skat brauchten sie ja nur drei. An diesem Skatabend im späten November kam allerdings keine rechte Stimmung auf, denn Gebhard Schlosser hatte schwere Sorgen.
»Es kommt auf uns zu«, sagte er, »ihr werdet schon sehen – wie ein Güterzug rollt das heran.«
»Du übertreibst!«, sagte seine Frau und rollte mit den Augen.
»Was kommt auf euch zu?«, fragte die Schwägerin.
»Die Bank zieht die Riemen an …«
»Welche Riemen, wovon redest du?«
»Die Riemen um meinen Hals!«
Und so weiter. Denn Gebhard Schlosser hatte, wie so viele, auch ein Haus gebaut und sich dafür bis über beide Ohren verschuldet. »Der Mannhard«, sagte er, »das war ja nur die Spitze des Eisbergs …«
»Welcher Mannhard?«, fragte die Schwägerin. »Welcher Eisberg?«
Gebhard Schlosser klärte sie auf. Aus dem Kartenspiel wurde nichts mehr an diesem Abend. Die Schwägerin erfuhr erstens die wahren Hintergründe der Mannhard-Tragödie, die sie
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