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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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drücken. Wenn er ihr auf dreihundert Meter nahe gekommen war, würde er es hören. Wo sie war. Besser: gewesen war.
    Er lief zur Anlage zurück. Die Sonne schien, der Schnee glitzerte zwischen den Bäumen. Der Wald ein Wintermärchen. Er sah es. Es war schön. Er blieb stehen. Die Luft kalt und still, alles ganz still. Sogar die Geräusche der Autobahn schluckte der Schnee. Er begann nachzudenken. Wie wahrscheinlich war es, dass irgendein Sandler die Flasche an sich genommen hatte? Verschwindend gering. Diese Leute hielten sich am Bahnhof oder in der Nähe der Caritas-Schlafstellen auf. Wirklich? Er hatte keine Ahnung. Aber: War ihm jemals auf Waldläufen oder Spaziergängen in dieser Gegend einer begegnet, ein Sandler? Nie. Ganz einfach: Die mieden normale Wohngegenden, weil sie die an das frühere Leben erinnern würden, das sie verloren hatten. Und ausgerechnet bei null Grad und Schneefall sollte sich so einer in der Beethovenstraße herumtreiben, ausgerechnet hier? Abwegig.
    Blieb die Nachbarschaftstheorie. Die hatte einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad. Das hieß aber, er musste handeln. Wenn er nicht handelte, würde eine Beobachtung des Internets ergeben, wo die Flasche geblieben war. Oder: Schalten Sie Ihr Radio ein! Wenn im Internet oder Radio berichtet würde, war es zu spät.
    Im Büro durchforschte er die lokalen Seiten im Netz. Dawar noch nichts. Also hatte noch niemand den Wermut probiert. Der würde schon nach einem kleinen Schluck merken, dass es kein Wermut war, danach würde diesem Jemand sehr schlecht werden, er würde blau anlaufen und ins Spital gebracht werden. Müssen. So etwas steht auf den News-Seiten, wenn es denn passiert. Also hatte er noch Zeit. Nicht jeder mag Wermut. Nathanael zum Beispiel mochte keinen. Es konnte durchaus sein, dass dieses Geschenk des Nikolaus von der Beethovenstraße monatelang in einer Speisekammer oder einem Keller ebenjener Beethovenstraße vor sich hin gammelte, weil die Flasche vergessen wurde. Wer weiß, wann der Herr Chefinspektor aus dem Urlaub zurückkam. Wenn natürlich der Herr Chefinspektor sich nach der Flasche erkundigen würde, per Telefon aus dem Urlaub … bei wem? Nun, bei dem Nachbarn, der ihm den Postkasten leerte oder die Blumen goss. (Hatte Weiß Blumen? Keine Ahnung, egal, er durfte den Gedanken nicht verlieren!) Dann würde dieser Mensch doch die Flasche retournieren … Moment: Wenn es ein Nachbar war, der einen Schlüssel zum Weiß’schen Haus besaß, dann hatte er die Flasche längst hineingestellt. Hinein! Nur darauf kam es an.
    Erregung ergriff den Ingenieur. Da war er durch bloßes Nachdenken auf eine interessante Fährte gelangt. Und je länger er darüber nachdachte, desto plausibler wurde das Gebilde. So freundliche Nachbarn gab es doch. Besonders hierzulande. Er selber hatte mit dieser Form zwischenmenschlicher Beziehungen wenig zu tun, das machte alles Hilde; wer goss eigentlich ihre Blumen, wenn sie selber im Urlaub waren? Rhombergs natürlich. Oder Hinterkoflers zwei Häuser weiter. Denen tat man dann im Gegenzug auch den einen oder anderen Gefallen. Er wohnte ja in einer Siedlung, da ging es ohne Nachbarschaftshilfe nicht, bei den Gärten und dem Hauskram, den sie alle aufgehäuft hatten. Die Häuser waren ja auchmit Nachbarschaftshilfe gebaut worden – nun schön, sein eigenes nicht, die Gegend war auch um zwei Klassen besser als die Beethovenstraße (oder anderthalb), da war man nicht so dick mit den Nachbarn – aber er hatte seine Werkstatt im Keller durch besondere Schlösser gesichert, um nicht Herrn Rhomberg oder Frau Hinterkofler zu einem neugierigen Blick zu verführen. Hilde vertraute denen. Es konnte sein, dass Weiß als Polizist niemandem vertraute, niemanden ins Haus ließ, aber für die Aufbewahrung der Post oder einen Blick aufs Haus haben – dafür musste jemand da sein, schon als Einbrecherprävention. Kein Untergebener, das würde nur böses Blut geben, wenn jeden Abend nach Dienstschluss einer herfahren müsste, um die Scheißpost von diesem Scheißweiß zu holen … Anton Galba lachte, als er sich das vorstellte. Nein, keiner aus der Bude; er selbst würde das ja auch nicht so organisieren. Sondern ein Nachbar. Ein Freund der Polizei, ein autoritärer Charakter. Und ebendieser Jemand, wer immer es war, würde sich hüten, den Wermut des Herrn Chefinspektors selber zu saufen – in der Hoffnung, dass er das nicht merkt, der Herr Chefinspektor Weiß. Weil der es eben doch merkt. Weil es ihm jemand (ein

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